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PopCo

PopCo

Titel: PopCo
Autoren: Scarlett Thomas
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Spielzeugherstellern ist es auch nicht anders.
    Wie alles gehört natürlich auch der Sagenschatz zum Spaß dazu. Bei einer Spielzeugfirma ist Spaß der große Diktator. In letzter
     Zeit ist viel von «coolen Nerds» die Rede oder von der «Schönheit des Hässlichen». Nichts gilt mehr von vornherein als uncool,
     und das wiederum bedeutet, dass man so ziemlich alles verkaufen kann, wenn man nur weiß, wie. Manche wundern sich vielleicht,
     wie diese ganze zynisch-coole Erwachsenenwelt in den Spielzeugmarkt Einzug halten konnte, doch wir aus der Branche wissen,
     dass sich jede Form von Marketingletztlich an Kinder und Jugendliche richtet. Sie verfügen über das nötige Geld und den nötigen Willen dazuzugehören. Sie verbreiten
     neue Hypes so schnell wie Kopfläuse und überreden ihre Eltern, ihnen Sachen zu kaufen, die sie gar nicht brauchen. Man muss
     sich nur die Modewörter anschauen. Inzwischen wissen ja die meisten, dass sie über die Schulhöfe verbreitet werden und man
     das, was der neunjährige Sohn diese Woche zu seinen Kumpels sagt, wahrscheinlich schon nächste Woche selbst bei den Bürokollegen
     verwendet. Doch obwohl solche Ausdrücke auf Schulhöfen gedeihen, stammen sie ursprünglich meist aus irgendeiner Marketingabteilung.
     Kinder haben eine beschleunigte, intensivere Vorstellung davon, was «cool» ist. Sie durchlaufen Freundschaften, Phasen und
     Hypes so schnell wie eine Knospe, die im Zeitraffer aufblüht. Wenn man es geschickt anstellt, kann man sie mit circa zwanzigtausend
     Produkten bombardieren, bis sie fünfzehn sind, ihre Vorlieben sich verfestigen und sie weniger kaufen.
    Und Spielzeughersteller produzieren auch nicht mehr unbedingt nur Spielzeug: Unser erfolgreichster Geschäftszweig sind Videospiele,
     und die meisten Forschungsgelder werden in den Bereich Robotik gepumpt. Wir produzieren einfach, was Kinder wollen. Wir handeln
     mit dem Glanz des Neuen, dem Höher-Schneller-Weiter, mit dem Schillernd-Magischen, der schnellen Sucht. Gegenüber anderen
     Branchen ist die Spielzeugbranche gleich doppelt im Vorteil. Unsere Produkte sind besonders leicht verkäuflich und unsere
     Kunden besonders bereitwillige Käufer. Was natürlich nicht heißen soll, dass jedes Produkt gleich erfolgreich wäre. Aber wir
     stellen eben Produkte her, die fliegen oder explodieren können und einen in Phantasiewelten entführen, und wenn wir alles
     richtig machen, sitzen die Kinder mit großen, runden Augen vor unseren Werbespots.
    Ich will gar nicht zynisch wirken. Das bin ich nicht. Undes ist auch gar nicht so, dass ich meine Arbeit verabscheuen würde. Ich habe die Aufgabe, mir neue Varianten für meine drei
     Produkte auszudenken, von denen eines die Kinder zum Spionspielen, ein weiteres zum Detektivspielen und ein drittes zum Knacken
     von Geheimschriften animiert. Die drei Produkte heißen KidSpy, KidTec und KidCracker und sollen demnächst unter der Dachmarke
     «Pssst!» neu lanciert werden. Fokusgruppen- und Marktforschungsanalysen haben ergeben, dass Kinder, die eines meiner Produkte
     kaufen, in der Regel alle drei haben wollen, und ich stehe jetzt unter dem Druck, gewissermaßen die Quadratur des Dreiecks
     zu versuchen und ein viertes «Killer-Produkt» für die demographische Gruppe einsamer, kluger, etwas seltsamer und manchmal
     auch traumatisierter Kinder zu entwickeln, egal ob Jungen oder Mädchen, die sich gern verstecken, Geheimnisse haben und Verbrecher
     belauern oder dingfest machen wollen. Dieses vierte Produkt, das letztlich nur eine Submarke sein wird, soll bei der Neuauflage
     der anderen drei den Schwerpunkt bilden. Eine großangelegte Werbekampagne ist in Planung, vielleicht sogar mit Fernsehspots.
     Das ist alles enorm aufregend, denn erst mit einem richtig erfolgreichen Produkt gehört man bei PopCo richtig dazu.
    Aber ich will ja gar nicht dazugehören. Das geht mir wirklich ernsthaft gegen den Strich. Dazugehören ist mir unangenehm,
     Beliebtsein auch. Darum bin ich ständig auf der Flucht vor der Modepolizei; darum meine ganz private kleine Widerstandsbewegung:
     Ich reise einen Tag vor meinen Kollegen, ziehe mich anders an als sie, trage Farben, die sich beißen, solange das sonst keiner
     tut, und sobald es doch einer macht, höre ich wieder damit auf. Einen Tag früher fahre ich allerdings nicht nur, um mich von
     den anderen zu unterscheiden, sondern weil ich Gedränge, schlechte Luft, Unterführungen und alles, was vom (Raum-)Gefühl her
     in diese Richtung
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