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PopCo

PopCo

Titel: PopCo
Autoren: Scarlett Thomas
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schon nicht mehr weiß, wie man darin
     nochmal genau Wasser sammelt. Mein Medaillon würde ich auch mitnehmen, aber daran brauche ich nicht eigens zu denken: Es hängt
     seit zwanzig Jahren Tag und Nacht an einer Kette um meinen Hals.
    Alles, was ich sonst dabeihabe, ist strenggenommen Luxus. Das gilt übrigens auch für meine Gedankenspiele über einenfeindlichen Überfall. Unsere Feinde wären heutzutage ganz sicher nicht zu Fuß unterwegs und würden sich auch keine Züge aussuchen.
     Und wer weiß denn überhaupt noch, wer genau der Feind ist? Da ich den Kontakt zur Realität so weit wie möglich meide, denke
     ich bei dem Wort «Feind» eigentlich immer nur an meine Produkte, was wiederum bedeutet, dass ich ständig über die Schulter
     spähe und nach schattenhaften, unrasierten Kinoklischees Ausschau halte: Spione der Gegenseite, keimfreie Verbrecher, die
     Haustieren oder kleinen Kindern auflauern, um sie zu entführen und/oder für ihre wahnwitzigen Experimente zu missbrauchen.
     Vielleicht sehe ich deshalb auch meine Bücher, wo sie gar nicht sind. Das war wirklich merkwürdig – so etwas habe ich noch
     nie erlebt.
     
    Mein Kater heißt übrigens nicht nach dem Videospielhersteller Atari, wie ab und zu vermutet wird, sondern nach der gleichnamigen
     Position des japanischen Brettspiels Go, aus der heraus ein Spieler die Spielfigur seines Gegners mit einem einzigen weiteren
     Zug gefangen nehmen kann, ähnlich der «Schach»-Stellung beim Schachspiel. Ein Atari ist allerdings nicht ganz so aussichtslos,
     weil es beim Go viele Spielfiguren beziehungsweise Steine gibt, von denen man hin und wieder gern ein paar aus strategischen
     Gründen opfert. Mein Kater ist schwarz-weiß, wie die Steine beim Go. Es geht in diesem Spiel um Gleichgewicht, um Yin und
     Yang, Opfer und Sieg, und viele der Spielstellungen und Regeln, von denen es Tausende gibt, lassen sich metaphorisch auf die
     unterschiedlichsten Lebenssituationen übertragen, inklusive militärischer Strategien. Atari hat seinen Namen, weil die schwarzen
     und weißen Haare in seinem Fell scheinbar um die Oberhand kämpfen und in einem fort ausfallen, als würden sie ständig Atari-Stellungen
     gegeneinander verlieren.
    Bei PopCo spielen alle Go, das ist schon fast eine Einstellungsvoraussetzung.Jede Spielzeugfirma hat ihr Paradespiel, ähnlich wie Sportmannschaften eine Erkennungsmelodie oder ein Maskottchen haben.
     Bei Hasbro ist das offenbar Risiko, das neben Scrabble zu den bestverkauften Brettspielen der Firma zählt. Auf mich wirkt
     Risiko immer wie eine etwas weniger abstrakte Go-Variante: Man kann dabei ganz ähnliche Strategien anwenden. Und obwohl es
     um die Weltherrschaft geht, ist man doch den Launen des Würfels ausgeliefert. Ein Spiel für Langzeitstrategen. Bei Mattel
     spielen alle Schach. Sie sind dort genauso strategiebesessen wie wir, doch während wir das Ganze sehr viel philosophischer
     angehen (man kann nicht gewinnen, ohne auch ein bisschen zu verlieren und so weiter), steht bei ihnen der militärische Aspekt
     im Vordergrund. Beim Schach spielt das Glück keine Rolle. Es geht alles Schlag auf Schlag, und manchmal können ein paar Züge
     schon zum Sieg führen. 1995 versuchte Mattel, Hasbro zu übernehmen. Eine äußerst unschöne Situation.
    Jedes Jahr veranstaltet PopCo ein großes Go-Turnier, das alle in helle Aufregung versetzt. Ich bin letztes Jahr nicht mal
     über die erste Runde hinausgekommen, weil ich gleich bei den ersten paar Zügen meines einzigen Spiels einen dummen kleinen
     Fehler gemacht habe. Seit 1992 schreibt die Firma eine Belohnung von einer Million Dollar für die Entwicklung eines Computerprogramms
     aus, das in der Lage ist, einen echten Go-Profi zu schlagen. Bisher hat niemand den Preis beansprucht. Obwohl inzwischen schon
     recht schlichte Schachprogramme Großmeister besiegen, hat noch niemand eine Computerversion von Go entwickelt, die mehr als
     nur Kindern und blutigen Anfängern gewachsen wäre. Dabei sind die Spielregeln ganz einfach. Man spielt auf einem Brett mit
     neunzehn horizontalen und neunzehn vertikalen Linien, etwa so wie ein größeres Schachbrett. Darauf platzieren zwei Spieler
     – einer für Weiß, einer für Schwarz – abwechselnd ihre Steine, die nicht in dieFelder selbst, sondern auf die Schnittpunkte gelegt werden. Ziel ist es, auf diese Weise Gebiete abzustecken und die Steine
     des Gegners gefangen zu nehmen, indem man sie umzingelt. Wenn man allerdings nicht aufpasst,
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