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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji
Autoren: Robert Harris
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er sich im Grunde keinerlei Vernachlässigung seiner Pflichten vorzuwerfen hatte. Es gab nichts, was er hätte tun können. Für ihn persönlich hätten die Dinge eine andere Wendung genommen, das stimmte – aber das spielte im größeren Zusammenhang der Ereignisse kaum eine Rolle.
    So kam es, dass er der Piscina den Rücken kehrte und sich auf dem menschenleeren Gelände umsah. Am Vorabend hatte er Anweisung gegeben, es aufzuräumen und zu fegen, während er fort war, und er stellte befriedigt fest, dass das geschehen war. Für ihn hatte ein aufgeräumter Platz etwas Beruhigendes. Die ordentlichen Stapel von Bleiplatten, die Amphoren mit Kalk, die Säcke mit Puteolanum, die Tonrohre – diese Anblicke waren ihm seit seiner Kindheit vertraut. Und ebenso die Gerüche – die Schärfe des Kalks, die Staubigkeit gebrannten Tons, der den ganzen Tag in der Sonne gelegen hatte.
    Er ging in den Schuppen, ließ sein Werkzeug auf den Boden fallen und lockerte seine schmerzenden Schultern, dann wischte er sich das Gesicht mit dem Ärmel seiner Tunika ab und trat auf den Platz hinaus, als die anderen ankamen. Sie steuerten geradewegs auf den Trinkbrunnen zu, ohne ihn zu beachten, tranken nacheinander und spritzten sich Wasser auf ihre Köpfe und Körper – zuerst Corax, dann Musa, danach Becco. Die beiden Sklaven hockten geduldig im Schatten und warteten, bis die Freien fertig waren. Attilius wusste, dass er im Laufe des Tages an Ansehen verloren hatte. Aber noch konnte er mit der Feindseligkeit dieser Männer leben. Er hatte schon mit Schlimmerem gelebt.
    Er rief Corax zu, dass die Männer für heute Feierabend machen könnten, und wurde mit einer höhnischen Verbeugung belohnt. Dann stieg er die schmale Holztreppe zu seinem Quartier hinauf.
    Der Platz war rechteckig. An der Nordseite erhob sich die Mauer der Piscina mirabilis. Im Westen und Süden standen Schuppen und die Büros der Aquädukt-Verwaltung. Im Osten hatte man ein Wohnhaus errichtet; im Erdgeschoss befanden sich die Sklavenunterkünfte, die Wohnung des Aquarius lag darüber. Corax und die anderen Freien lebten in der Stadt bei ihren Familien.
    Attilius, der Mutter und Schwester in Rom zurückgelassen hatte, hoffte, sie zu gegebener Zeit nach Misenum nachkommen zu lassen und ein Haus zu mieten, um das seine Mutter sich kümmern konnte. Fürs Erste jedoch schlief er in dem engen Junggesellenquartier seines Vorgängers Exomnius, dessen spärliche Besitztümer er in das kleine, unbenutzte Zimmer am Ende des Korridors gebracht hatte.
    Was war mit Exomnius passiert? Natürlich war das Attilius' erste Frage gewesen, nachdem er in der Hafenstadt eingetroffen war. Aber niemand hatte eine Antwort gewusst, und wer eine wusste, dachte nicht daran, sie ihm zu liefern. Seine Fragen wurden mit mürrischem Schweigen beantwortet. Allem Anschein nach war Exomnius, ein Sizilier, der fast zwanzig Jahre lang für die Aqua Augusta verantwortlich gewesen war, an einem Morgen vor zwei Wochen einfach fortgegangen, und seither hatte niemand wieder etwas von ihm gehört.
    Normalerweise wäre die Behörde des Curator Aquarum in Rom, die für die Aquädukte in den Regionen eins und zwei (Latium und Campania) zuständig war, willens gewesen, mit der Ernennung eines Nachfolgers eine Weile zu warten. Doch angesichts der Dürre und der strategischen Bedeutung der Aqua Augusta sowie der Tatsache, dass der Senat in der dritten Juliwoche die Sommerpause angetreten hatte und die Hälfte seiner Mitglieder in ihren Villen rund um den Golf herum Ferien machte, hatte der Curator es für angebracht gehalten, sofort für Ersatz zu sorgen. Die Vorladung hatte Attilius an den Iden des August erreicht, in der Abenddämmerung, als er gerade mit einer Routinearbeit am Anio Novus fertig geworden war. Acilius Aviola, der Curator Aquarum, hatte ihn in seiner offiziellen Residenz auf dem Palatin persönlich empfangen und ihm die Bestallung angeboten. Attilius sei intelligent, tatkräftig und pflichtbewusst – der Senator wusste, wie man einem Mann schmeichelte, wenn man etwas von ihm wollte – und habe weder Frau noch Kinder, die ihn in Rom festhielten. Könne er am nächsten Tag abreisen? Und natürlich hatte Attilius sofort angenommen, denn dies war eine großartige Gelegenheit, seine Karriere voranzutreiben. Er hatte sich von seinen Angehörigen verabschiedet und war in Ostia an Bord der Fähre gegangen, die täglich verkehrte.
    Erst gestern hatte er begonnen, seiner Mutter und Schwester einen Brief zu
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