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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji
Autoren: Robert Harris
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etwas außer diesem überwältigenden Blau wahrzunehmen, bevor sie wieder unterwegs waren und Corelia ihn die Treppe hinabführte, vorbei an Statuen, Springbrunnen, bewässerten Rasenflächen, über einen Fußboden mit einem Mosaik von Meeresgetier und hinaus auf eine Terrasse mit einem Schwimmbecken, gleichfalls blau, das sich in Richtung See erstreckte. Ein aufblasbarer Ball drehte sich langsam am gefliesten Beckenrand, wie mitten in einem Spiel vergessen. Plötzlich fiel ihm auf, wie verlassen das große Haus wirkte, und als Corelia auf die Balustrade deutete und er die Hände vorsichtig auf die Steinbrüstung legte und sich vorbeugte, sah er, weshalb. Der größte Teil des Haushalts hatte sich am Ufer versammelt.
    Es dauerte eine Weile, bis er die ganze Szenerie in sich aufgenommen hatte. Wie erwartet war der Schauplatz eine Fischfarm, aber die Anlage war viel größer als vermutet – und alt, ihrem Aussehen nach zu schließen vermutlich in den dekadenten letzten Jahren der Republik angelegt, als das Halten von Fischen Mode geworden war –, eine Reihe von auf die Felsen gesetzten Mauern, die rechteckige Becken umschlossen. Tote Fische trieben auf der Oberfläche von einem der Bassins. Um das am weitesten entfernte Becken drängte sich eine Schar von Männern, die auf etwas im Wasser starrten, etwas, das einer von ihnen mit einem Bootshaken anstieß. Attilius musste die Augen abschirmen, um es erkennen zu können, und als er genauer hinschaute, spürte er, wie sich eine große Leere in seinem Magen ausbreitete. Die Szene erinnerte ihn an den Moment des Tötens im Amphitheater – die Stille, die erotische Komplizenschaft zwischen Menge und Opfer.
    Hinter ihm gab die alte Frau ein Geräusch von sich – ein leises Aufheulen vor Kummer und Verzweiflung. Attilius trat einen Schritt zurück und wandte sich kopfschüttelnd zu Corelia um. Er wollte weg von diesem Ort, zurück zu den ordentlichen, simplen, praktischen Belangen seines Berufs. Hier gab es nichts, was er tun konnte.
    Doch sie stand ihm im Wege, dicht vor ihm. »Bitte«, sagte sie. »Hilf ihr.«
    Ihre Augen waren blau, sogar noch blauer, als die von Sabina es gewesen waren. Sie schienen das Blau des Golfs einzufangen und auf ihn zurückzuwerfen. Er zögerte, biss die Zähne zusammen, drehte sich um und schaute wieder aufs Meer hinaus.
    Schließlich zwang er sich, den Blick vom Horizont zu lösen, wobei er das, was am Becken passierte, bewusst mied, ließ ihn zum Ufer zurückwandern und versuchte, die ganze Szenerie mit einem professionellen Auge zu betrachten. Er sah hölzerne Schleusentore. Eisengriffe, mit denen sie angehoben werden konnten. Metallgitter über einigen der Becken, die verhindern sollten, dass die Fische entkamen. Laufstege. Rohre. Rohre.
    Einen Moment blieb er unbeweglich stehen, dann drehte er sich abermals um und betrachtete die Bergflanke. In ihrem Steigen und Fallen würden die Wellen durch die Metallgitter schwappen, welche unterhalb der Wasseroberfläche in die Betonmauern der Becken eingelassen waren, und verhindern, dass das Wasser stagnierte. So viel wusste er. Die Rohre jedoch – er legte den Kopf in den Nacken, begann zu verstehen – mussten Süßwasser vom Land bringen, damit es sich mit dem Meerwasser mischte und es brackig werden ließ. Wie in einer Lagune. Einer künstlichen Lagune. Perfekt zum Halten von Fischen. Und die am schwierigsten zu haltenden Fische, eine den ganz Reichen vorbehaltene Delikatesse, waren Meerbarben.
    Er fragte leise: »Wo ist der Aquädukt mit dem Haus verbunden?«
    Corelia schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht.«
    Die Leitung muss gewaltig sein, dachte er. Bei einer Anlage dieser Größe …
    Er kniete neben dem Schwimmbecken nieder, schöpfte eine Hand voll des warmen Wassers, kostete es, runzelte die Stirn, ließ es im Mund kreisen wie ein Weinkenner. Soweit er es beurteilen konnte, war es sauber. Aber das brauchte nichts zu bedeuten. Er versuchte sich zu erinnern, wann er zuletzt den Ausfluss des Aquädukts kontrolliert hatte. Nicht seit dem Vorabend, kurz bevor er sich schlafen legte.
    »Wann sind die Fische gestorben?«
    Corelia warf einen Blick auf die Sklavin, aber die war für die Welt verloren. »Ich weiß es nicht. Vielleicht vor ungefähr zwei Stunden.«
    Zwei Stunden!
    Er sprang über die Balustrade auf die darunter liegende Terrasse und machte sich auf den Weg zur Küste.
     
    Unten am Wasser hatte das Spektakel nicht gehalten, was es versprochen hatte. Aber wovon konnte man
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