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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji
Autoren: Robert Harris
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das heutzutage schon behaupten? Ampliatus hatte in letzter Zeit immer öfter das Gefühl, einen Punkt erreicht zu haben – war es das Alter oder der Reichtum? –, an dem die Erregung der Vorfreude köstlicher war als die Leere der Erleichterung. Das Opfer schreit, das Blut spritzt, und dann – was? Nur ein weiterer Tod.
    Das Beste war der Anfang gewesen: die gemächliche Vorbereitung, gefolgt von der langen Zeit, in der der Sklave lediglich im Wasser trieb, das Gesicht dicht über der Oberfläche – sehr still, weil er bei dem, was unter ihm war, keinerlei Aufmerksamkeit erregen wollte –, mit sanften, konzentrierten Bewegungen unter Wasser. Amüsant. Trotzdem hatte sich die Geschichte bei der Hitze in die Länge gezogen, und in Ampliatus kam der Gedanke auf, dass diese Sache mit den Muränen überschätzt wurde und Vedius Polho doch nicht so modisch gewesen war, wie er geglaubt hatte. Aber nein: Auf die Aristokratie war immer Verlass! Gerade als er im Begriff war, dem Ort des Geschehens den Rücken zu kehren, hatte das Wasser angefangen zu zucken, und dann war – plopp! – das Gesicht verschwunden wie der Senkschwimmer eines Fischers, nur um für eine Sekunde mit einem komischen Ausdruck der Überraschung wieder aufzutauchen und dann endgültig zu verschwinden. Im Rückblick war dieser Gesichtsausdruck der Höhepunkt gewesen. Danach war alles ziemlich langweilig und in der Hitze der untergehenden Sonne schwer zu ertragen gewesen.
    Ampliatus nahm seinen Strohhut ab, fächelte sich das Gesicht und schaute seinen Sohn an. Anfangs hatte es so ausgesehen, als blickte Celsinus starr geradeaus, aber beim zweiten Hinschauen merkte man, dass seine Augen geschlossen waren, was typisch war für den Jungen. Zuerst schien er immer zu tun, was von ihm verlangt wurde. Aber dann begriff man, dass er nur mechanisch mit seinem Körper gehorchte; seine Aufmerksamkeit war woanders. Ampliatus stieß ihm den Finger in die Rippen, und Celsinus' Augen öffneten sich ruckartig.
    Woran dachte er? Vermutlich an irgendwelchen östlichen Unsinn. Ampliatus gab sich selbst die Schuld. Als der Junge sechs war – das war vor zwölf Jahren gewesen –, hatte sein Vater in Pompeji auf eigene Kosten einen Tempel bauen lassen, der der Isis geweiht war. Man hatte es nicht gern gesehen, wenn er, ein ehemaliger Sklave, einen Tempel für Jupiter, den Besten und Größten, oder Mutter Venus oder sonst einen der heiligen Schutzgötter gebaut hatte. Aber Isis war Ägypterin, eine Göttin für Frauen, Friseure, Schauspieler, Parfummischer und dergleichen. Er hatte den Bau im Namen von Celsinus gestiftet mit dem Ziel, den Jungen einst in den Stadtrat von Pompeji zu befördern. Und es hatte funktioniert. Bloß hatte er nicht damit gerechnet, dass Celsinus die Sache ernst nehmen würde. Aber genau das tat er, und zweifellos dachte er auch jetzt daran – an Osiris, den Sonnengott, Gemahl der Isis, der jeden Abend bei Sonnenuntergang von seinem tückischen Bruder Seth, dem Bringer der Dunkelheit, erschlagen wird. Und daran, wie alle Menschen, wenn sie sterben, vom Herrscher über das Reich der Toten beurteilt werden und, wenn sie für würdig befunden werden, ins ewige Leben eingehen und am Morgen wieder auferstehen gleich Horus, dem Erben des Osiris, der rächenden neuen Sonne, dem Bringer des Lichts. Glaubte Celsinus tatsächlich an diesen kindischen Blödsinn? Glaubte er wirklich, dass zum Beispiel dieser halb aufgefressene Sklave bei Sonnenuntergang aus dem Totenreich zurückkehren und bei Tagesanbruch Rache nehmen würde?
    Ampliatus war im Begriff, ihn genau das zu fragen, als er von einem Ruf hinter ihren Rücken abgelenkt wurde. Die versammelten Sklaven wurden unruhig, und Ampliatus drehte sich auf seinem Stuhl herum. Ein Mann, den er nicht kannte, kam die Stufen von der Villa herunter, schwenkte einen Arm über dem Kopf und rief etwas.
     
    Die Prinzipien der Technik waren einfach, universal, unpersönlich – ob in Rom, in Gallien oder in Campania –, und genau das gefiel Attilius daran. Noch während er die Treppe hinablief, stellte er sich das vor, was er nicht sehen konnte. Die Hauptleitung des Aquädukts verlief vermutlich in dieser Anhöhe hinter der Villa, ungefähr drei Fuß unter der Oberfläche, in nordsüdlicher Richtung, von Baiae hinunter zur Piscina mirabilis. Derjenige, der vor mehr als einem Jahrhundert, als die Aqua Augusta gebaut wurde, Besitzer der Villa gewesen war, hatte höchstwahrscheinlich zwei Abzweigungen legen lassen.
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