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Pommes rot-weiß

Pommes rot-weiß

Titel: Pommes rot-weiß
Autoren: Christoph Güsken
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wie Melanie Storck, die sich einbildeten, das Honorar aus der WG-Kaffeekasse bezahlen zu können, würde ich auf den Job als Ladendetektiv angewiesen sein.
    Natürlich gab es immer mal Tage, an denen ich nicht in dem Buchgeschäft herumstehen konnte. Wenn ich krank wurde, zum Beispiel, oder wenn ich meinem Partner aus der Klemme helfen musste. Wie heute.
    Lämmerhirt, meinem Chef, musste ich allerdings die erste Variante auftischen. Er gehörte zu den Typen, die selbst ihren Partnern nur dann aus der Klemme halfen, wenn sie sicher waren, durch diese Maßnahme mehr Geld einzusparen, als sie Kosten verursachte. Für Lämmerhirt gab es keinen Unterschied zwischen krank sein und krankfeiern, also erkundigte er sich nicht näher nach meinen Beschwerden, sondern wünschte mir frostig gute Besserung.
    Ich fuhr zum Büro und durchwatete noch einmal das Chaos in Henks Arbeitszimmer auf der Suche nach einem Hinweis. Nichts deutete darauf hin, dass er inzwischen hier gewesen war. Und falls doch, dann hatte er das Aufräumen auf später verschoben. Also würde ich bei ihm zu Hause weitersuchen.
    Als ich schon so gut wie aus der Tür war, klingelte das Telefon. Ich nahm ab.
    »Kittel?« Die Stimme am anderen Ende hatte keinen italienischen Akzent. »Ich brauche dringend Ihre Hilfe.«
    »Wer spricht denn da?«
    »Mein Name ist Martens. Tilo Martens. Wir haben uns gestern kurz kennen gelernt.«
    »Ja, ich erinnere mich.« Das Sorgenkind meines Klienten. Der junge Elvis, den sein Vater kurzerhand hinausgeworfen hatte, als er versucht hatte, sich in seine eigenen Angelegenheiten einzumischen.
    »Worum geht es denn?«
    »Ich…« Er schluckte. »Das sehen Sie, wenn Sie hier sind. Ich möchte jetzt nicht hier – am Telefon…«
    Normalerweise war ich ein hilfsbereiter Mensch. Aber ich dachte an Henk und seine sadistisch-sizilianischen Verfolger. Und ich fühlte meine Schrammen und blauen Flecke. Im Moment passte es wirklich schlecht.
    »Wie Sie wissen«, erklärte ich freundlich, »hat mich Ihr Vater engagiert. Falls Sie also wollen, dass ich für Sie tätig werde, sollten Sie sich an ihn wenden und ihn um sein Einverständnis bitten. Und dann wäre für mich zu klären, ob Ihr Anliegen und seines nicht miteinander kollidieren. Falls nicht, dann könnte ich…«
    »In meinem Schlafzimmer liegt eine Leiche«, unterbrach er meine Ausführungen.
    Jetzt schluckte ich. »Was?«
    »Ein toter Mensch«, erklärte er. »Hier in meiner Wohnung. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Bitte, ich…«
    »Also gut«, sagte ich. »Rühren Sie nichts an und warten Sie, bis ich da bin.«

5
     
     
     
    Die Wohnung, zu der Tilo Martens mich bestellte, lag in jenem Viertel südlich der Innenstadt, das Einheimische in aller Regel mit leisem, andächtigem Stolz in der Stimme erwähnten. Viele führten das auf die Rocklegende zurück, die hier aufgewachsen war und die die knallharte linke Szene weitgehend in eine weinerliche Gemeinde fromm gestimmter Lokalpatrioten verwandelt hatte. Ihr Geburtshaus lockte immer noch Massen von ehrfürchtigen Wallfahrern her.
    Vielleicht rührte der Stolz aber auch daher, dass die Welt hier auf eine krumme, urtümliche Art und Weise noch in Ordnung zu sein schien. Es gab altbackene Kneipen, echte Milchmänner, urige Kioske und Läden, deren Inhaberin Tante Emma höchstpersönlich war und die sonst wo auf der Welt längst gefräßigen, anonymen Supermärkten zum Opfer gefallen waren. In den Ecken roch es gemütlich und ein bisschen muffig und die Leute begegneten einander nicht mit der überall sonst üblichen kalten Gleichgültigkeit. Sollte es vorkommen, dass einer den anderen ermordete, so war das meist nicht persönlich gemeint. Überhaupt gab es nichts, das sich nicht in der Kneipe um die Ecke in aller Freundschaft klären ließ.
    Da die Leute sich in der für diese Stadt typischen Selbstbewunderung hauptsächlich mit ihrem Viertel beschäftigten, fehlte ihnen der Vergleichsmaßstab. Es entging ihnen, dass die Welt hier genauso wenig heil geblieben war wie anderswo, dass die Menschheit nicht nur aus guten Kumpeln bestand, die auch nicht alle Mitglieder des Karnevalsvereins waren. Und dass es Tante Emma schon lange heimlich mit dem echten Milchmann trieb.
    Tilo Martens erwartete mich auf der Straße vor dem Haus und sah ungeduldig zu, wie ich den Wagen in die enge Parklücke manövrierte. Mit seinen schlotternden Armen, den unbeholfenen Bewegungen und dem Gesicht, das genauso fahl war wie der Himmel über dem
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