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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder
Autoren: Douglas Starr
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Teil eins Die Verbrechen
    »Der Werwolf aus den Geschichten
Wurde jetzt übertroffen …«
    Aus einem volkstümlichen Gedicht über Joseph Vacher, 1898
Eins
Die Bestie
    An einem regnerischen Frühlingsabend im Jahr 1893 spazierte die neunzehnjährige Louise Barant in der französischen Provinzstadt Besançon die Uferpromenade entlang. Plötzlich kam ihr ein Mann entgegen, der eine Militäruniform trug. Sein Name war Joseph Vacher (ausgesprochen »Vaschee«). »Mieses Wetter, oder?«, fragte er, und sie antwortete reflexhaft: »Kann man wohl sagen.« Normalerweise hätte Louise, eine große, gesund aussehende Frau mit lockigem Blondhaar, nicht mit einem Fremden gesprochen, schon gar nicht, wenn er brutal aussah wie dieser hier. Aber Vacher strahlte auch eine entwaffnende Unschuld aus, und die Feldwebelwinkel wiegten sie in Sicherheit.
    Also gingen sie plaudernd weiter und aßen gemeinsam in einem Café. Sie erfuhren, dass sie beide aus Kleinstädten stammten: sie aus Baume-les-Dames, einer netten kleinen Gemeinde an der Grenze zur Schweiz, und er aus Beaufort, einem unscheinbaren Städtchen südöstlich von Lyon. Sie erzählten einander von ihrer Vergangenheit, und er gestand ihr, dass er sich bisher bei keinem Menschen so wohlgefühlt habe. Auch sie hatte das Gefühl, freimütig sprechen zu können. Dennoch beschlich sie ein komisches Gefühl, als sie von ihrem Essen aufblickte und in seine stechenden Augen sah. Später am Abend machte er ihr einen leidenschaftlichen Heiratsantrag. Dann schwor er, sie umzubringen, wenn sie ihn je betrügen sollte. Jetzt war ihr klar, dass sie einen schrecklichen Fehler begangen hatte.
    In den folgenden Wochen verfolgte er sie ständig. Wie andere Männer, für die Gewalt zum Leben gehört, wusste er, wie man Drohungen, Reue, Selbstmitleid und Charme geschickt miteinander verbindet, um eine Beziehung zu verlängern. Louise, die in der Stadt fremd war und als Hausmädchen arbeitete, versuchte verzweifelt, ihm aus dem Weg zu gehen, und erfand zu diesem Zweck zahllose Ausreden. Einmal jedoch hatte sie Mitleid mit ihm, was bei Opfern bisweilen vorkommt, und ging mit ihm tanzen. Schüchtern standen sie mitten zwischen fröhlichen Leuten, als ein Soldat Louise ansprach. Vacher stürzte sich daraufhin mit solcher Wut auf den Mann, dass der Soldat und Louise aus dem Tanzsaal rannten.
    Jetzt wusste sie, dass sie niemals sicher sein würde, solange sie sich in derselben Stadt wie Vacher aufhielt. Da sie sich nicht traute, ihn direkt abzuweisen, behauptete sie, ihre Mutter habe die Heirat verboten und sie nach Hause befohlen. Aber die Entfernung tat seiner Besessenheit keinen Abbruch. Immer wieder schickte er ihr Liebesbriefe. Schließlich schrieb sie ihm eine klare Antwort darauf: »Es wäre am besten, wenn du mir nicht mehr schreiben würdest … Zwischen uns ist alles aus. Ich möchte mich den Wünschen meiner Mutter nicht widersetzen. Zudem liebe ich dich nicht. Adieu, Louise.«
    Sie hoffte, von nun an Ruhe vor ihm zu haben. Denn sie wusste, dass er sich der Fahnenflucht schuldig machen würde, wenn er seine Einheit verlassen sollte, um sie zu suchen. Doch ihre Abreise und ihr letzter Brief hatten bei ihm derartige Wutanfälle ausgelöst, dass der Regimentsarzt ihm »nervöse Erschöpfung« attestiert und einen viermonatigen Erholungsurlaub verordnet hatte. Sofort fuhr er nach Baume-les-Dames und kaufte unterwegs noch einen Revolver.
    Jeder Soldat in Vachers Kaserne hätte Louise geraten, sich gar nicht erst mit dem dreiundzwanzigjährigen Feldwebel einzulassen, weil er etwas Wildes und Gewalttätiges an sich hatte. Alle hatten seine Manien und sein explosives Temperament schon erleben müssen. Einmal hatte er einem Kameraden, der nicht exakt in der Reihe stand, ohne Vorwarnung in den Unterleib getreten. Ein andermal hatte er im Alkoholrausch schwere Holzschreibtische durch den Raum geschleudert, gebrüllt wie ein Tier und sich Haare aus den Unterarmen herausgerissen. Als man ihn wider Erwarten nicht befördert hatte, hatte er sich sinnlos betrunken, alles kurz und klein geschlagen und jeden, der sich ihm genähert hatte, mit einem Rasiermesser bedroht. Schließlich hatte er die Klinge an seine eigene Kehle angesetzt. Nach diesem Vorfall wurde er in ein Krankenhaus gebracht und dann in eine andere Kompanie versetzt.
    Mitunter konnte Vacher aber auch rücksichtsvoll und, wenn es notwendig war, sogar charmant sein. So hatte er sich zweifellos benommen, als er Louise kennengelernt hatte, doch
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