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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Autoren: Adam Soboczynski
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PIES VOM TABAK. Und das Paar, unermüdlich, tanzte einmal mehr an uns vorbei. Fast hätte es uns berührt.
     »Ein schöner Polski Tango«, sagte ich zu meinem Tresennachbar. Er verbesserte mich: »Es heißt ›Polskie Tango‹.« »Denn Tango«,
     sagte er, »ist ein Neutrum«. Das war auch sein letztes Wort, sein Kopf sank auf den Tresen, die Augen waren halb geschlossen.
     Wie tot, dachte ich kurz, doch er atmete leise und schwer.
    Schwarze, verbrannte Galle ergießt sich ins Blut, so hat man sich das einst vorgestellt, wenn die Melancholie einen ergreift,
     das Vergnügen, traurig zu sein. »Na zawsze zostaw, jak znak miłości twojej« – »Laß den Tabakbeutel hier«, sang Kayah, »laß
     ihn mir für immer, als ein Zeichen deiner Liebe.« Sie tanzten noch immer. »Niech truje mnie powoli« – »laß den Tabak mich
     langsam vergiften.« Ich schaute mich um in der Kneipe, und die übrigen Gäste blickten auf das Paar, das den Tanz nicht lassen
     konnte, berauscht von sich selbst.
    Dann geschah es. Der Tänzer, seiner Schritte nicht |204| ganz so mächtig, wie es anfangs noch schien, streifte, unmerklich fast, mit seinem Rücken einen der Bistrotische. Volle Bier-
     und Wodkagläser stürzten augenblicklich zu Boden, die Gäste sprangen vom Tisch, und eine Frau mit rotem Kleid schrie sehr
     laut »Kurwa!«. Ihr Kleid war durchnäßt, und ihre Schminke vermischte sich mit dem Bier, das nun langsam von ihrem Gesicht
     herabtropfte.
    Und der Tänzer, der mit der Frau noch Bruchteile von Sekunden zuvor erhaben getanzt hatte in ewiger Jugend, zog seinen Fuß
     zu langsam nach, verhedderte sich im Rhythmus, brachte den Gleichschritt durcheinander. Und die Beine des Paares verhakten
     sich ineinander, sie stürzten, die Tänzer, die das stolzeste Paar auf der Welt waren, auf den kalten Kneipenboden. Er fiel
     auf sie, mit erschrockenem Blick, stützte sich mit einem Arm ab, um sie nicht gänzlich zu erdrücken. Sie, schon lachend, laut,
     schallend, schob ihn zur Seite. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sie wieder aufstanden. Und die Musik wurde abgedreht.
     Ein Kellner sprang herbei und breitete die Arme aus, sah, erleichtert, daß sie beide nur lachten und unverletzt waren. Faltig
     waren plötzlich ihre Gesichter, so ganz ohne Musik und ohne ihre beschwingten Bewegungen. Und der Tänzer drückte seine Hände
     in die Hüfte und wirkte sehr ermattet, als sein Lachen, das sein Mißgeschick zunächst übertünchte, abebbte wie schwere See,
     die zur Ruhe kommt.
    In einem Drama, das mir sogleich einfiel – es handelt |205| von einem König, der in Ohnmacht fällt und wieder erwacht –, stand, daß man fallen dürfe, das schon, aber daß man gefälligst
     »des Anblicks würdig« wieder aufstehen solle.
    Das Paar setzte sich an den Tresen. Der Mann hatte schütteres Haar und einen Goldzahn, und die Frau war stark geschminkt.
     Jung waren sie nicht mehr, womöglich war es ein letzter Tanz. Eine Bedienung wischte den Boden und räumte die Splitter weg,
     die ihn säumten. Und nach und nach verließen die Gäste das Lokal, nur der Mann, der mein Polnisch den gesamten Abend über
     verbessert hatte, schlief tief und fest. Das Tanzpaar hielt am Tresen schweigend die Hände, und sie bestellten ein letztes
     Getränk. Und ich hätte sie gerne angesprochen, aber die Musik war verklungen, und ich traute mich nicht, ihre Ruhe zu stören.
     Denn sie schwiegen. Und ich fragte mich eine Weile, ob ihr Schweigen ein glückliches war. Es ließ sich nicht sagen.
    Ich verließ das Lokal, lief die Straße hinab, die zum Hotel führte und die ganz leer war. Meine Reise lag noch vor mir. Doch
     die erste Lektion hatte ich bereits am ersten Abend gelernt: Es heißt Polskie Tango, denn Tango ist ein Neutrum.
    Und das Paar, das hinter meinem Rücken noch weitertrank, vermutlich bis der Morgen graute, wußte, daß zu leben immer auch
     zu verlieren heißt.

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    |207| DANKSAGUNG
    ICH BIN ZU DANK VERPFLICHTET: Meinen Eltern, Barbara Wermann, Florian Illies, Jochen Thermann, Christoph Amend, Marin Majica,
     Stephan Lebert und Marianna Lieder. Sie haben etwas gemein: Ohne ihre Unterstützung wäre dieses Buch nicht entstanden. Teile
     daraus sind bereits in
Monopol
, im
Tagesspiegel
und in der
ZEIT
veröffentlicht worden. Den Berliner Kollegen im Ressort »Leben« der
ZEIT
sei für Anregungen und Kritik ganz besonders gedankt.

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Informationen zum Buch
    Berlin - Warschau: Eine Lebensreise. Als Kind hat Adam Soboczynski
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