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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Autoren: Adam Soboczynski
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in der Toilette sogleich auszieht, wieder in den |189| Gastraum kommt, um dann den Abend nackt im Club zu bestreiten.
    Ein Pole. Er kommt unregelmäßig, aber wenn er kommt, dann werden die Gespräche um ihn herum deutlich lebhafter. Als würde
     die Mischung aus Scham und dem Gefühl, einer avantgardistischen Inszenierung beizuwohnen, soziale Energien freisetzen. Der
     Club hat dann etwas von der Dekadenz eines Fellini-Films, in dem alle ein bißchen aufgekratzt sind und in den 60er Jahren
     leben könnten. Einem Zeitalter also, in dem es noch darum ging, irgendwelche Tabus zu brechen. Der nackte Mann ist übrigens
     immer der einzige, der völlig entspannt im Sessel sitzt und langsam eine nach der anderen raucht. Schweigend und einsam. Und
     die leicht gesteigerte Erregtheit der Gäste um ihn herum besteht vor allem darin, daß sie mit hoher Betriebsenergie versuchen,
     Neu-Berliner Coolness zu bewahren und diesen Mann als völlig gewöhnlichen, nur ein klein wenig abwegigen Gast zu begreifen.
    Es gelingt nicht recht. Sobald er eingetreten ist, werden die Gespräche lauter und beinahe interessant. Hin und wieder lacht
     sogar jemand.
    Die Beliebtheit des Clubs, sage ich zu meinem Freund, der Journalist ist, bestätige seine These vom Polen, der in Deutschland
     derzeit gerne mit einer gewissen Künstleraura bedacht wird. Auch seine zweite Typusbeschreibung, die der polnischen Putzfrau,
     stimmt noch. Sie entstammt den 80er und 90er Jahren, als die |190| Verniedlichung der Polen heftig um sich griff; als man die Polen als ärmliche und kleinkriminelle, gleichzeitig aber sympathische
     und harmlose Geschöpfe entdeckte. Dieses Polenbild lebt noch, hat sich aber, aufgrund der Angleichung der Lebensverhältnisse,
     in letzter Zeit deutlich abgeschwächt. So gibt es in Berlin auch das genaue Gegenteil zum »Club der polnischen Versager«.
     Einen Laden im nördlichen Prenzlauer Berg, der eingemachte Gurken und Krówki-Bonbons verkauft. Der aber nur überlebt, da es
     Menschen in diesem Bezirk gibt, die mit einer linksliberalen Gesinnungsethik ausgestattet sind und aus Mitleid hin und wieder
     sich mit polnischen Nostalgieprodukten versorgen. Die kräftige Verkäuferin ist so freundlich, so überschwenglich zu ihren
     Kunden und rollt das polnische »Rrrr« mit derart inszenierter Dramatik, daß sich jedesmal eine sehr befangene Stimmung einstellt,
     sobald man das kleine Ladenlokal betritt.
     
    Ich bin also wieder in Deutschland angekommen. Ich habe die lahme polnische Bahn, der ich überdrüssig geworden war, verschmäht,
     und ein Billigflieger flog mich sicher und schnell über die Grenze. Vielleicht haben Reisen dies grundsätzlich an sich: daß,
     sosehr sie einen auch entrücken aus der Zeit, in der man lebt, sich die Eindrücke nur wenige Tage nach der Rückkehr bereits
     verflüchtigen. Fast so, als hätte man sich nie aufgemacht, den Koffer nie gepackt, nie fremde Menschen |191| kennengelernt. Nach nur wenigen Minuten gewöhnt sich das Auge an das Koordinatennetz der alten Wohnung, man könnte blind umherlaufen.
     Was bleibt, sind einige Stunden, in denen die kleinen Unterschiede zwischen dem Land, aus dem man kam, und demjenigen, in
     dem man lebt, noch spürbar sind.
    Ich stellte den Koffer ab, den ich mich nicht recht traute zu öffnen, da er seinen Inhalt in völliger Unordnung barg – schmutzige
     Wäsche und wirre Notizen –, blickte auf mein Handy, das mir per SMS die Einladung meines Journalistenfreundes mitteilte, und
     verließ, die Müdigkeit, die sich nach meiner Reise eingestellt hatte, tapfer ignorierend, sogleich meine Wohnung.
     
    Ich bin vor zwei Jahren so weit in den Norden von Berlin gezogen, daß die Bezeichnung Prenzlauer Berg, dem meine Straße laut
     Plan angehört, nicht recht passen mag. Jedenfalls leben hier, nur wenige Schritte vom Wedding und von Pankow entfernt, keine
     junggebliebenen westdeutschen Paare mit rüstiger Gebärfreude, die abwechselnd stillen, Kaffee trinken und auf freiberufliche
     Projekte warten. In meiner Gegend wohnen, so kommt es mir manchmal vor, in erster Linie Hunde. Auf der gegenüberliegenden
     Straßenseite ist ein Hundesalon, und nur wenige Meter weiter hat während meiner Abwesenheit ein Konkurrenzunternehmen eröffnet:
     der »erste«, wie an der Scheibe steht, »Self-Service-Hundewasch-Sa lon Berlins«. Das faßt recht prägnant den Kreativ-Level |192| der Gegend um die Bornholmer Straße herum zusammen.
    Ich habe Nachbarn, Punks, ostdeutsche Punks,
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