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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Autoren: Adam Soboczynski
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Widerstandskampf seinen Bruder verlor; der als Überlebender nur noch lebensmüde dichtete;
     und der doch bereits in den 50er Jahren mehrere Male die Oder überquerte?
    Die Antwort fällt knapp aus: »Es war interessant.« Denn im Partisanenkampf, da lernte man keine Menschen kennen, keine Familien.
    Schon während des Krieges, vor allem aber unmittelbar nach seinem Ende, schrieb er über das Kriegstrauma der Polen, das auch
     sein eigenes war. Er sprach nicht darüber, er verfaßte Gedichte.
    Warschau. Hoffnung nährte die ausgehungerten Kämpfer. Irgendwo im fernen London gab es eine Exilregierung, mit der man in
     Kontakt stand. Zur Unterstützung des Aufstands sollte eine unter britischem Befehl stehende polnische Luftlandebrigade über
     Warschau abgesetzt werden. Man rüstete sich, im geheimen, mit dem wenigen, was zur Verfügung stand: mit 3000 Handfeuerwaffen,
     200 Maschinengewehren, 16 Granatwerfern. Ein kleiner Bestand für 30   000 Kämpfer. Partisanen mit leeren, mit wütenden Händen.
    »Was für hohle eindeutige namen
    mensch und tier
    liebe und haß
    feind und freund
    finsternis und licht«
    |183| Am 1. August 1944 beginnt der Warschauer Aufstand. Um 17 Uhr. Überrascht waren die Deutschen von seinem Ausmaß, die Polen
     eroberten beinahe alle Stadtteile zurück, hißten Fahnen auf Häuserblöcken. Auch wenn der Hauptbahnhof noch nicht eingenommen
     war, das Telegrafenamt und die Weichselbrücken in deutscher Hand lagen. Und da sollten ja auch noch die Soldaten vom Himmel
     fallen, aus dem fernen London. Da schickte Hitler Verstärkung. Und der polnische Widerstand brach zusammen. An einem Tag nur,
     am 5. August, ließ er 15   000 Polen erhängen, erschießen, lynchen. Und er beschloß, obgleich der Ostfeldzug im fernen Rußland schon längst verloren
     war und die Russen sich Warschau näherten, die vollständige Sprengung der polnischen Hauptstadt.
    »Menschen tötet man wie tiere
    Ich sah:
    lastwagen voll zerstückelter menschen
    die nicht erlöst werden«
    Und kein einziger Helfer sank vom Himmel herab. Die polnischen Fallschirmjäger waren von der britischen Militärführung für
     andere Aufgaben eingeteilt worden. Und die Führer des Aufstandes konnten nicht wissen, daß die Regierungen in London und in
     Washington längst akzeptiert hatten, daß Polen zur sowjetischen Einflußzone gehören sollte. Die polnischen |184| Patrioten, das wußten sie nicht, kämpften längst im Zeichen des roten Sowjetsterns. Die Rote Armee blickte vom gegenüberliegenden
     Weichselufer auf das Wüten. Als die Kämpfe beendet waren, nahm sie die Stadt ein. Die polnische Heimatarmee kämpfte in Bunkern,
     in Tunneln und in den dunklen Abwasserkanälen. Vergeblich. 15   000 starben während des Gefechts.
    »Ich bin vierundzwanzig
    unterwegs zur schlachtbank
    bin ich davongekommen.«
    Als ich Różewicz treffe, möchte er, wie gewohnt, über »das Schwierige, das Belastende des deutsch-polnischen Verhältnisses
     in jener oder heutiger Zeit« nicht sprechen. Sein Blick fällt während unseres Gesprächs auf seine Beine, seine Füße, die in
     dicken Puschen stecken. Różewicz kichert unvermittelt, er streckt sie kurz in die Höhe und erzählt eine Anekdote: »Ich mußte
     1956 in Ost-Berlin mit Schuhen im Bett schlafen, mit Mantel und mit Mütze.« Nachts steckte er unter einer riesigen Decke,
     frierend, mit roter Nase.
    Die Kulturschergen der DDR hatten ihn im einstmaligen Nobel-Hotel Adlon, Unter den Linden, untergebracht. Es hatte bessere
     Zeiten gesehen, ohne Heizung schlief der gefeierte Dichter Polens in einem Ost-Berliner Eisschrank.
    Różewicz irritiert mit seiner einnehmenden Freundlichkeit, |185| seiner Gelassenheit, seinem wachen, konzentrierten Blick, der sein Alter vergessen läßt. Wenn er lacht, dann ist er ein neugieriges,
     ein altes Kind.
    Dabei war man gewarnt. Erst kürzlich wurde kolportiert, er wende einem beim Sprechen immer den Rücken zu. Mit einem empfindlichen
     Naserümpfen haben die polnischen Medien reagiert, als er zu keinem Statement über den Tod seines Dichterkollegen Czesław Miłosz
     bereit war. Er brauche, um etwas Persönliches über Miłosz zu schreiben, ein halbes Jahr, vielleicht ein ganzes.
    »Vielleicht auch zehn Jahre«, präzisiert Różewicz an diesem sonnigen Tag in Berlin seine publizistische Verweigerung. Das
     messerscharfe Urteil, der zitierfähige Satz, das braucht Zeit. Schnelle Statements sind seine Sache nicht. Eines der letzten
     Gedichte Różewicz’
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