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Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.

Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.

Titel: Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
Autoren: Frank Schätzing
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10. September
      
    Ante portas
      
    »Ich finde, es ist kalt.«
    »Ihr findet immer, es ist kalt. Ihr seid weiß Gott eine erbarmungswürdige Memme.« Heinrich zog den Mantel enger um seine Schultern und funkelte den Reiter neben ihm zornig an. »Das meint Ihr nicht so, Mathias. Ihr meint nicht, was Ihr sagt. Es ist kalt.«
    Mathias zuckte die Achseln. »Verzeiht. Dann ist es eben kalt.«
    »Ihr versteht mich nicht. Mir ist kalt im Herzen.« Heinrichs Hände beschrieben eine theatralische Geste. »Daß wir zu solchen Mitteln greifen müssen! Nichts liegt mir ferner als die Sprache der Gewalt, so wahr der barmherzige Gott mein Zeuge ist, jedoch –«
    »Er ist nicht Euer Zeuge«, unterbrach ihn Mathias.
    »Was?«
    »Warum sollte Gott seine kostbare Zeit auf Euer Zetern und Jammern verschwenden? Es wundert mich, daß Ihr überhaupt aufs Pferd gefunden habt um diese Stunde.« »Mit Verlaub, Ihr werdet unverschämt«, zischte Heinrich. »Zollt mir gefälligst ein bißchen Respekt.«
    »Ich zolle jedem den Respekt, den er verdient.« Mathias lenkte sein Pferd um einen gestürzten Ochsenkarren herum, der unvermittelt aus der Dunkelheit vor ihnen aufgetaucht war. Die Sicht nahm rapide ab. Den ganzen Tag über hatte die Sonne geschienen, aber es war September, und abends wurde es jetzt schneller kalt und dunkel. Dann stiegen Nebel empor und verwandelten die Welt in ein düsteres Rätsel. Kölns Stadtmauer lag inzwischen mehr als einen halben Kilometer hinter ihnen, und sie hatten lediglich die Fackeln. Mathias wußte, daß Heinrich sich vor Angst fast in die Hosen machte, und das erfüllte ihn mit einer grimmigen Belustigung. Heinrich hatte seine Vorzüge, aber Mut gehörte nicht dazu. Er trieb sein Pferd zu größerer Eile und beschloß, ihn zu ignorieren.
    Im allgemeinen fiel es niemandem ein, um diese Zeit die Stadt zu verlassen, es sei denn, man warf ihn hinaus. Die Gegend war unsicher. Überall trieben sich Banden von Strolchen und Tagedieben herum, ungeachtet des Landfriedens, den der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden im Einklang mit den geistlichen und weltlichen Fürsten der umliegenden Gebiete ausgerufen hatte. Das war 1259 gewesen, nicht mal ein Jahr zuvor. Es gab ein Papier darüber, schwer von Siegeln. Glaubte man dem Wisch, konnten Wanderer und Kaufleute nun das Rheinland durchqueren, ohne von Raubrittern und anderen Wegelagerern ausgeplündert und umgebracht zu werden. Aber was tagsüber einigermaßen funktionierte, vor allem, wenn es darum ging, die Kaufleute für das magere Schutzversprechen zur Kasse zu bitten, verlor nach Sonnenuntergang jede Gültigkeit. Erst kürzlich hatte man den Körper eines Mädchens gefunden, draußen auf dem Feld und nur wenige Schritte von der Friesenpforte entfernt. Sie lag auf dem Gelände eines Pachthofs, vergewaltigt und erdrosselt. Ihre Eltern waren angesehene Leute, eine Dynastie von Waffenschmieden, seit Generationen wohnhaft Unter Helmschläger gegenüber dem erzbischöflichen Palast. Es hieß, der Leibhaftige habe die Kleine mit einem Zauber hinausgelockt. Andere wollten den Bauern aufs Rad geflochten sehen, in dessen Feld sie den Leichnam gefunden hatten. Dabei ging es weniger um die Schuld des Bauern; aber was hatte eine anständige Bürgertochter tot auf seinem Grund und Boden zu liegen! Zumal sich kein Christenmensch erklären konnte, was sie so spät dort draußen gesucht hatte. Hörte man allerdings genauer hin, wußte plötzlich jeder, daß sie sich mit Spielleuten herumgetrieben hatte und noch schlimmerem Pack, Fetthändlern aus der Schmiergasse und Gesindel, das man besser gar nicht erst in die Stadt ließ. Also doch selber schuld. Wer glaubte schon dem Landfrieden.
    »Wartet!«
    Heinrich war weit hinter ihm. Mathias stellte fest, daß er dem Vollblut zu sehr die Zügel gelassen hatte und ließ es in ein gemächliches Schrittempo zurückfallen, bis sein Begleiter wieder neben ihm ritt. Sie hatten jetzt mehrere Höfe zwischen sich und die Stadt gebracht und den Hag erreicht. Der Mond erhellte die Gegend nur schwach. »Sollte er hier nicht irgendwo warten?« Heinrichs Stimme zitterte fast so sehr wie er selber.
    »Nein.« Mathias spähte zwischen den ersten Baumreihen des Hags hindurch. Der Weg verlor sich in völligem Schwarz. »Wir müssen bis zur Lichtung. Hört, Heinrich, seid Ihr sicher, daß Ihr nicht umkehren möchtet?«
    »Was denn, alleine?« Heinrich biß sich verlegen auf die Lippen, aber es war raus. Kurz besiegte der Zorn seine Feigheit.
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