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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Autoren: Adam Soboczynski
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»Pasticcio« sei, seine verfremdeten Kopien gewissermaßen
     geschickte, schwindlerhafte Nachbildungen ihrer Originale?
    Die Tür geht auf, Maciejowskis Sohn blickt verstohlen durch den Türspalt. Sein Vater winkt ihm kurz zu. Er läuft davon. »Familie
     ist ja so wichtig«, sagt Maciejowski knapp.
    Erneut geht die Tür auf. Mit dem Jungen auf dem Arm kommt uns Maciejowskis Frau entgegen. Ernst fixiert sie ihren Mann, der
     ein wenig mit den Borsten seines Pinsels spielt. »Wir gehen jetzt. Kannst du uns nachher |177| abholen?« – »Ja, ja«, erwidert Maciejowski schnell. Mutter und Kind entfernen sich. Die Wohnungstür fällt ins Schloß. »So«,
     sagt Maciejowski, drückt mir sanft die Hand, möchte mich verabschieden, als ihm plötzlich etwas einfällt. »Abholen … abholen.
     Ja, aber wo?« Panisch stürzt er aus dem Zimmer. Läuft den Hausflur hinab.
    Er ist entkommen.

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DER DICHTER
    DAS GESPRÄCH NIMMT eine abrupte Wendung. Noch Sekundenbruchteile zuvor hatte Tadeusz Róże wicz versonnen gelächelt. Doch nun zeigt er sein wahres Gesicht: »Das Leben ist nichts wert. Am besten sterben Sie sofort. Warten
     Sie nicht. Springen Sie: dritter Stock. Das dürfte reichen.«
    Wer so spricht, der meint es nicht ernst. Nein, erzählt er nach dieser kleinen Einlage lachend, vielen Gesprächspartnern habe
     er es aber nicht leicht gemacht: sich Interviews radikal verweigert und bockig geschwiegen. »Ich rieche es sofort« – und er
     zeigt grinsend auf seine alte Nase –, »wenn jemand Übles im Schilde führt.« Wer den Geruchstest überstanden hat, braucht keine
     Angst mehr zu haben.
    Różewicz ist ein gedrungener, älterer Herr. Er ist 85 Jahre alt und trägt diese Max-Frisch-Hornbrille, die alle europäischen
     Literaten in den 50er Jahren trugen. Sie verleiht ihm etwas Seriöses und Intellektuelles zugleich. Der DAAD hat ihn nach Berlin
     eingeladen, damit er ein paar seiner Gedichte vorliest. Jetzt sitzt er etwas |180| verloren in einem großen Sessel seiner Berliner Wohnung, die für solche Zwecke von der Organisation zur Verfügung gestellt
     wird. Sie ist im alten Westen der Stadt gelegen, in Charlottenburg, das an sonnigen Tagen den Reichtum und die Dekadenz der
     untergegangenen, alten Bundesrepublik noch widerspiegelt.
    Różewicz weiß, daß er im polnischen Medienrummel längst zu einem schillernden Kunstobjekt geworden ist. Zu einem »Puzzle«
     der Fremdbestimmung, wie er selbst sagt. Seine Teile sind nicht nur in Polen bekannt: Da ist zum einen Różewicz, der Partisanenkämpfer:
     1943 kämpft er im polnischen Widerstand der Untergrundarmee gegen Nazi-Deutschland. Er war ein Überlebender, der nicht mehr
     leben wollte, erinnert sich Róże wicz . Und der nur noch leben konnte, indem er das Dichten tötete – mit der Dichtung selbst. 1947 wird sein weltbekannter Gedichtband
     »Unruhe« gedruckt. Darin heißt es:
    »Ich bin vierundzwanzig
    unterwegs zur schlachtbank
    bin ich davongekommen.«
    Und:
    »Ich suche einen lehrer und meister
    der mir wiedergeben möge
    gesichtssinn gehör und sprache
    |181| der aufs neue benennt
    dinge und begriffe
    und der trennen möge
    licht und finsternis«
    Eine »nackte Poesie« war dies; eine »Antipoesie«, die sich gegen jeglichen »poetischen« Sprachschmuck richtete. Seine Gedichte
     erinnern an die Lyrik Günter Eichs. Różewicz schreibt karge Sätze: »das ist ein tisch sagte ich / brot ißt der mensch«. Die
     Rezeption seines Œuvres war in Ost- und Westdeutschland immens. Im Osten paßte seine Lyrik zur zeitgenössischen Verbannung
     expressionistischer Traditionen, im Westen war es die Gruppe 47, die er mit seiner kargen Sprache begeisterte.
    »Was wurde nicht alles über mich geredet – damals«, amüsiert sich Różewicz und stupst mich kurz an, »ich sei der Nihilist,
     der Atheist, der Pessimist. Aber dabei war ich doch die Hebamme der Literatur.« Plötzlich wedelt er mit einem Artikel von
     Robert Menasse, der darin über den Tod des Gegenwartstheaters räsoniert. Dieser Autor sei ein Totengräber, sagt Różewicz.
     »Aber das reicht nicht.«
    Różewicz war stets ein Wanderer zwischen den Welten, in Ost und West gleichermaßen beheimatet. »Für mich«, sagt er, »hat es
     ein geteiltes Deutschland nie gegeben.« Doch wie mag es gewesen sein, als der Dichter, der noch wenige Jahre zuvor mit der
     Waffe im Anschlag für Polen kämpfte, nach dem Krieg deutschen Boden |182| betrat? Was ging in dem Mann vor, der im
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