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Polizei-Geschichten

Polizei-Geschichten

Titel: Polizei-Geschichten
Autoren: Ernst Dronke
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Ar-
    beit zu suchen, aber wie er auch flehte und seine verzweif-
    lungsvolle Noth schilderte, sein Bemühen blieb ohne Er-
    folg. Sein früherer Meister, an den er sich mit der Bitte
    wendete, ihm nur irgend eine geringe und grobe Arbeit zu
    geben, ließ ihn am härtesten an.
    „Wenn es blos auf Euren schwachen Arm ankäme,“
    sagte er, „da wollte ich schon Nachsicht haben. Aber Ihr
    habt bereits einen Diebstahl begangen und einen solchen
    Menschen, der mir vielleicht meine Gesellen noch verführt,
    kann ich nicht brauchen.“ —
    Schenk trieb sich in düsterer Verzweiflung umher. Zu-
    weilen erhielt er irgend eine zufällige Beschäftigung, ei-
    nen Auftrag zum Lasttragen oder auch auf Tagelohn. Den
    kleinen Verdienst brachte er dann seinem Weib und Kinde,
    für sich selbst — erbettelte er das Brot. Er sank moralisch
    und physisch tiefer und tiefer in’s Elend. Und dennoch,
    bei all diesem Jammer, den ihm das stumme Leid seines
    abgezehrten, zerlumpten Weibes und seines siechenden
    Kindes verursachte, bei all der gräßlichen Verzweiflung
    und all dem heißen, bittern Groll gegen die Gerechtigkeit
    der menschlichen Gesellschaft, die ihn zu diesem unver-
    schuldeten Loos verfluchte, dennoch lebte er dies Leben
    drei lange Jahre lang. Drei Jahre! Wie ist doch die Zeit
    ein schlechtes Maaß für ein Menschenleben! Dem Reichen
    verfliegt in Lust und Freuden die Zeit so schnell, daß er
    am Sterbebett nicht weiß, wo sie geblieben ist; aber dem
    Unglücklichen war sie eine qualvolle Ewigkeit.
    
    Eines Tages ging Schenk langsam in stumpfem Brüten
    durch die Gassen. Seine Frau, das arme liebende, duldende
    Geschöpf, die nie über ihr Loos murrte oder nur seufzte,
    hatte ihm am Tage vorher sagen müssen, daß sie nicht das
    Geringste mehr zum Essen im Hause habe. Das Kind war
    lange krank gewesen und hatte jetzt vom Arzt eine Pflege
    verordnet bekommen, die die Armen seit Langem nicht
    mehr kannten. Endlich aber hatte der Hausmann Schenk
    beim Ausgehen angehalten, und ihm barsch ins Gesicht
    gesagt: daß er mit der rückständigen Miethe für die letz-
    ten drei Vierteljahre nicht länger warten könne; wenn er
    daher am folgenden Tage das Geld nicht erhalte, so müsse
    er die Familie aus dem Hause weisen und sich an ihrem
    Geräth bezahlt zu machen suchen. Das letztere war für
    den Unglücklichen die gräßlichste Drohung. Er hatte nach
    und nach die einigermaßen entbehrlichen Stücke aus sei-
    ner Wirthschaft in den Zeiten der höchsten Noth versetzt,
    und besaß nur noch ebensoviel, um mit Weib und Kind
    nicht auf dem harten Boden schlafen zu müssen. Wurde
    ihm auch das noch entrissen, so konnten sie zusammen
    elend in der Straße sterben.
    Schenk ging aus, ohne zu wissen, wohin, und ohne Ge-
    danken, wie er diesmal die augenblickliche Noth abwen-
    den könne. Wer ihn jetzt sah, erkannte in ihm den früher
    fleißigen und ordentlichen Arbeiter nicht mehr. Sein Aeu-
    ßeres trug den Stempel der schauderhaftesten Verwahrlo-
    sung, die Kleider schlotterten ihm schmutzig und zerlumpt
    am Leibe herab, seine tiefliegenden Augen waren glanzlos
    und stumpf, sein Haar wirr und struppig, und sein Gesicht
    zeugte von Entbehrungen und gräßlichem Elend. An der
    Ecke zweier Straßen blieb er einige Augenblicke vor der
    Ladenthür eines eleganten Fleischerladens stehen. Wäh-
    rend er mit heimlicher Lüsternheit die verlockenden, rein-
    lichen Fleischwaaren betrachtete und an seine Armen da-
    heim dachte, stieg eine plötzliche Versuchung in ihm auf.
    Die Thür war offen und der Laden leer. Sein Herz pochte in
    Unentschlossenheit, aber er wandte sich weg, und schritt
    langsam die Straße weiter.
    In diesem Augenblick war ein Mann flüchtig an ihm vor-
    über gestreift. Einige Schritte weiter blieb derselbe plötz-
    lich stehen, gleich als ob Schenks Gesicht eine Erinnerung
    in ihm hervorgerufen, und blickte ihm nach. Als er über
    die Person Schenks im Reinen zu sein schien, kehrte er
    um, und Schenk ward durch einen Schlag auf seine Schul-
    ter aus seinen trübsinnigen Gedanken aufgeschreckt.
    „Guten Tag, Fritz Schenk! Kennst Du mich nicht
    mehr?“ —
    Der Angeredete starrte zu dem Andern in stumpfer
    Gleichgültigkeit auf. Der Mann, der vor ihm stand, war
    eine hohe breitschulterige Figur, ziemlich fein und modern
    gekleidet, und von einem auffallenden und erzwungen vor-
    nehmen Wesen. Damit stand freilich der Ausdruck seines
    Gesichts in keiner Uebereinstimmung, denn seine von ei-
    nem dichten rothen Bart
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