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Polarsturm

Polarsturm

Titel: Polarsturm
Autoren: Clive Cussler , Dirk Cussler
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Wintereis eingefrorenen Schiffes jederzeit hatte zuziehen können. Faszinierender noch war die Erkenntnis, weshalb ein großer Teil der Besatzung der
Erebus
wahnsinnig geworden war. Aufgrund der Eintragungen im Logbuch, das Pitt den britischen Behörden hatte zukommen lassen, untersuchten die Wissenschaftler eine Rutheniumprobe, die man in einer Offizierskabine gefunden hatte. Dabei stellte man fest, dass das südafrikanische Erz einen hohen Quecksilberanteil enthielt. Wenn man es in Eimern und Bettpfannen auf einem Kochherd erhitzte, schied das Erz giftige Dämpfe aus, die sich in der Messe und in den Mannschaftsunterkünften dann ansammelten. War man aber monatelang Quecksilberdämpfen ausgesetzt, so führte das zu Nerven- und Hirnschäden.
    Das tragische Geschehen trug ein Übriges zum Reiz der Geschichte bei und lockte die breite Öffentlichkeit, die Franklin die letzte Ehre erweisen wollte, in Scharen an. Die Tore von Kensal Green, einem alten, weitläufigen Friedhof westlich von London, mussten am Tag seiner Beerdigung geschlossen werden, nachdem sich dreißigtausend Menschen auf dem altehrwürdigen Gelände versammelt hatten.
    Es war ein heißer, schwüler Sommertag, so ganz anders als die Witterungsbedingungen in der Arktis, unter denen er gestorben war. Die von Pferden gezogene Lafette entfernte sich langsam von der Kapelle und rollte ratternd und vom Hufeklappern der schwarzen Kaltblüter begleitet über einen mit Kopfsteinen gepflasterten Weg. Gefolgt von einem langen Trauerzug zu Fuß, näherte sie sich einem abgeschiedenen Teil des Friedhofes, über dem hohe Kastanienbäume aufragten. Der Kutscher hielt vor einer Familiengrabstätte, deren Tor offen stand. Ein leeres, frisch ausgehobenes Grab befand sich neben einer Gruft mit der Aufschrift LADY JANE FRANKLIN, 1792-1875.
    Franklins geliebte Frau hatte mehr als irgendjemand anders durch ihre unermüdlichen Bitten und ohne Rücksicht auf die Kosten dazu beigetragen, dass das Schicksal der verschollenen Expedition aufgedeckt wurde. Sie selbst hatte nicht weniger als fünf Rettungsexpeditionen ausgerüstet, die sich auf die Suche nach ihrem Mann in die Arktis begaben – und anfangs ebenso scheiterten wie die von der britischen Regierung ausgesandten. Es war ein anderer Polarforscher, Francis McClintock, der schließlich das Rätsel um Franklins Schicksal gelöst hatte. Als er mit der Dampfyacht
Fox
und einer sechsundzwanzigköpfigen Besatzung im Auftrag von Lady Franklin aufbrach, fand er 1859 auf der King-William-Insel ein zum Schlitten umfunktioniertes Boot mit zwei Leichen an Bord sowie zwei Nachrichten in einem Steinhaufen, aus denen hervorging, dass Franklin 1847 gestorben war und die Besatzung die im Eis eingeschlossenen Schiffe später aufgegeben hatte.
    Hundertsechzig Jahre waren vergangen, seit er ihr am Ufer der Themse den Abschiedskuss gegeben hatte, aber jetzt war John Franklin wieder mit seiner Frau vereint.
    Seine Seele hätte sich auch noch aus einem anderen Grund gefreut, als er neben Jane zur letzten Ruhe gebettet wurde. Als eine Fregatte der Royal Navy den Sarg aus der
Erebus
übernommen und nach England zurückgebracht hatte, hatte das Schiff die lange Strecke durch die Beringsee, den Pazifik und den Panamakanal zurückgelegt.
    Im Tod, wenn auch nicht zu Lebzeiten, hatte Sir Franklin somit endlich die Nordwestpassage durchfahren.
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    Pitt blickte aus dem Fenster seines Büros auf den tief unter ihm liegenden Potomac und ließ seine Gedanken ziellos treiben.
    Seit seiner Rückkehr aus der Arktis war er etwas neben der Spur und kämpfte mit einer Mischung aus Beklommenheit und Enttäuschung. Teilweise lag es an seinen Verletzungen, das war ihm klar. Die Wunden an Arm und Bein verheilten gut, und die Ärzte sagten, er würde wieder voll genesen. Er hatte auch kaum noch Schmerzen, aber dass er sich nicht richtig bewegen konnte, ging ihm auf die Nerven. Die Krücke hatte er schon längst weggeschmissen, doch ab und zu brauchte er noch einen Stock. Giordino hatte ihm die Sache versüßt, indem er ihm einen Gehstock besorgte, in dem ein kleines Fläschchen mit Tequila versteckt war. Loren bemühte sich ebenfalls nach Kräften und bediente ihn bei jeder Gelegenheit, die sich bot, nach bester Florence-Nightingale-Manier. Trotzdem ließ ihm irgendetwas keine Ruhe.
    Es war der Fehlschlag, das wusste er. Er war so was einfach nicht gewöhnt. Die Suche nach dem Ruthenium war ungeheuer wichtig gewesen, doch er war mit leeren Händen zurückgekehrt. Er
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