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Polarsturm

Polarsturm

Titel: Polarsturm
Autoren: Clive Cussler , Dirk Cussler
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wird immer wilder, dachte Fitzjames. Er konnte nur mutmaßen, was für Abscheulichkeiten auf der anderen Seite der Barrikade vor sich gingen.
    »Sie werden zusehends gewalttätiger«, sagte der Lieutenant mit gedämpfter Stimme.
    Fitzjames nickte grimmig. Als er sich zum Polarforschungsdienst gemeldet hatte, hätte er sich niemals vorstellen können, dass er einmal eine wahnsinnig gewordene Besatzung zur Räson bringen musste. Er war ein kluger und umgänglicher Mann, der bei der Royal Navy rasch aufgestiegen war und mit dreißig Jahren das Kommando über eine Korvette erhalten hatte. Jetzt, da er sechsunddreißig war und ums nackte Überleben kämpfte, stand der Offizier, den man einst als »bestaussehenster Mann der Marine« bezeichnet hatte, vor seiner schwersten Prüfung.
    Vielleicht war es gar nicht so überraschend, dass ein Teil der Besatzung den Verstand verloren hatte. Den arktischen Winter auf einem im Eis eingeschlossenen Schiff zu überleben, war eine furchtbare Herausforderung. Die Männer, die der Dunkelheit und erbarmungslosen Kälte monatelang ausgesetzt waren, saßen in den engen Verschlägen des Unterdecks fest, wo sie gegen Ratten, Platzangst und Einsamkeit kämpften und zudem unter Skorbut und Erfrierungen litten. Einen Winter zu überstehen war schon schwer genug, aber Fitzjames’ Besatzung brachte gerade den dritten arktischen Winter in Folge hinter sich, und ihr Leiden wurde durch Nahrungs- und Brennstoffknappheit noch verschlimmert. Der vorzeitige Tod von Sir John Franklin, dem Leiter der Expedition, trug ein Weiteres dazu bei, dass ihre Zuversicht schwand.
    Doch Fitzjames wusste, dass noch etwas wesentlich Unheilvolleres am Werk war. Als sich ein Bootsmannsmaat die Kleider vom Leib riss, aufs Oberdeck stieg und schreiend über das Treibeis rannte, hätte man dies als einen einzelnen Fall von geistiger Umnachtung abtun können. Aber als drei Viertel der Besatzung anfingen, im Schlaf zu brüllen, teilnahmslos umhertorkelten, unverständliches Zeug vor sich hin brabbelten und unter Hirngespinsten litten, wurde ihm klar, dass noch etwas anderes im Spiel war. Als die Betroffenen allmählich immer gewalttätiger wurden, ließ Fitzjames sie heimlich ins Vorschiff bringen und unter Quarantäne stellen.
    »Irgendetwas auf dem Schiff treibt sie in den Wahnsinn«, sagte Fairholme leise, als könnte er Fitzjames’ Gedanken lesen.
    Fitzjames wollte gerade nicken, als eine kleine Kiste über die Barrikade geflogen kam und ihn beinahe am Kopf getroffen hätte. Das fahle Gesicht eines ausgezehrten Mannes, dessen Augen im flackernden Kerzenschein rot glühten, tauchte in dem Spalt zwischen Barriere und Oberdeck auf. Rasch zwängte er sich durch die Lücke und stürzte dann die Barrikade herab. Als sich der Mann wieder aufrappelte, erkannte Fitzjames, dass es sich um einen der Heizer handelte, die die Dampfmaschine des Schiffes mit Kohle versorgten. Der Heizer trug trotz der frostigen Temperaturen im Schiff kein Hemd und hatte ein schweres Schlachtermesser in der Hand, das er sich in der Kombüse besorgt haben musste.
    »Wo sind die Schlachtlämmer?«, schrie er und hob das Messer.
    Ehe er zustechen konnte, parierte einer der königlichen Marineinfanteristen den Angriff mit dem Kolben seiner Muskete und traf den Heizer seitlich am Kopf. Das Messer schlug gegen eine Kiste, als der Mann zu Boden ging und mit blutendem Gesicht liegen blieb.
    Fitzjames riss sich von dem bewusstlosen Heizer los und wandte sich an die Besatzungsmitglieder, die ihn umstanden. Müde, abgemagert und von der mangelhaften Kost ausgezehrt schauten ihn alle an, als warteten sie auf eine Anweisung von seiner Seite.
    »Wir verlassen sofort das Schiff. Noch haben wir über eine Stunde Tageslicht. Wir schlagen uns zur
Terror
durch. Lieutenant, lassen Sie die Schlechtwetterausrüstung in die große Kabine bringen.«
    »Wie viele Schlitten soll ich vorbereiten?«
    »Keinen. Lassen Sie so viel Proviant einpacken, wie jeder Mann tragen kann, aber keine weitere Ausrüstung.«
    »Ja, Sir«, erwiderte Fairholme, nahm zwei Männer mit und verschwand durch die Hauptluke. Tief im Laderaum des Schiffes lagerten Parkas, Stiefel und Handschuhe, die die Besatzung trug, wenn sie an Deck arbeitete oder mit Schlitten abseits des Schiffes auf Erkundung ging. Fairholme und seine Männer schleppten eilends Schlechtwetterausrüstung nach oben und schafften sie in die geräumige Offiziersmesse im Achterschiff.
    Fitzjames begab sich in seine Kajüte, wo er einen
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