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Polarsturm

Polarsturm

Titel: Polarsturm
Autoren: Clive Cussler , Dirk Cussler
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schob sich unter dem Dollbord durch und zog sich am Außenrumpf hoch. In der aufziehenden Dämmerung hatte der Wind kurz abgeflaut, sodass er sich auf den Beinen halten konnte. Er spähte über das Eis und zwang sich dazu, noch einmal hinzuschauen.
    Sie war noch da. Wie ein dunkles Projektil dräute die
Erebus
am Horizont und wanderte, einem schwarzen Gespenst gleich, mit dem Eis.
    »Welches Geheimnis birgst du?«, rief er, doch seine letzten Worte kamen lediglich als ein Flüstern über seine ausgedörrten Lippen. Die glitzernden Augen auf den Horizont gerichtet, sank Fitzjames schließlich tot an den Rumpf der Pinasse.
    Draußen auf dem Packeis zog die
Erebus
lautlos weiter – ein frostiges Grabmal, mit Schnee und Eis verkrustet. Wie ihre Besatzung würde auch sie, das letztes Zeugnis von Franklins Suche nach der Nordwestpassage, irgendwann den Unbilden der Arktis zum Opfer fallen. Und mit ihrem Verschwinden würde die Saga von Fitzjames und seiner wahnsinnig gewordenen Besatzung für immer der Vergessenheit anheimfallen. Doch ohne dass jener etwas davon ahnte, barg das Schiff ein noch größeres Geheimnis, von dem mehr als ein Jahrhundert später das Überleben der gesamten Menschheit auf dem Planeten abhängen sollte.

ERSTER TEIL
    DER ATEM DES TEUFELS



1
    APRIL 2011
INSIDE-PASSAGE
BRITISH COLUMBIA
    Der achtzehn Meter lange Trawler sah aus, wie jedes Fischerboot aussehen sollte – was aber nur selten vorkam. Die Netze waren ordentlich auf den Rollen verstaut, an Deck lag keinerlei Krempel herum. Der stählerne Rumpf und die Aufbauten wirkten weder rostig noch rußverschmiert. Selbst die abgewetzten Fender waren regelmäßig abgeschrubbt worden. Die
Ventura
mochte zwar nicht das einträglichste Fischerboot in den nördlichen Gewässern von British Columbia sein, doch sie war auf jeden Fall das am besten gepflegte.
    Ihr tadelloser Zustand spiegelte den Charakter ihres Besitzers wider, eines gewissenhaften und schwer arbeitenden Mannes namens Steve Miller. Der Mann entsprach ebenso wenig wie sein Boot den typischen Vorstellungen, die man von einem selbstständigen Fischer hat. Er war Notarzt in Indianapolis gewesen, bis er es sattgehabt hatte, verstümmelte Unfallopfer zusammenzuflicken, und in seine kleine Heimatstadt an der nordwestlichen Pazifikküste zurückgekehrt war, um etwas anderes zu probieren. Da er das Wasser liebte und über ein ansehnliches Bankkonto verfügte, kam ihm die Fischerei ganz passend vor. Als er jetzt sein Boot durch den frühmorgendlichen Nieselregen steuerte, grinste er zufrieden übers ganze Gesicht.
    Ein junger Mann mit zottigen schwarzen Haaren steckte den Kopf ins Ruderhaus und wandte sich an Miller.
    »Wo beißen sie heute, Skipper?«, fragte er.
    Miller blickte durch die Windschutzscheibe, dann hielt er die Nase in die Luft und schnupperte.
    »Tja, Bucky, ich würd sagen, eindeutig an der Westküste von Gil Island«, versetzte er grinsend. »Nimm lieber noch ’ne Mütze Schlaf. Wir holen sie noch früh genug ein.«
    »Klar, Boss. In zwanzig Minuten so?«
    »Ich würd sagen, eher achtzehn.« Er lächelte und warf einen Blick auf eine Seekarte, die neben ihm lag, drehte das Ruderrad um ein paar Grad und richtete den Bug auf eine schmale Lücke zwischen zwei grünen Küstenstreifen aus, die vor ihnen lagen. Sie durchquerten die Inside-Passage, einen Meeresstreifen, der sich von Vancouver bis Juneau erstreckt. Dieser gewundene Wasserweg, der durch vorgelagerte, mit Kiefern bestandene Inseln geschützt ist, erinnert ein bisschen an die malerische Fjordlandschaft Norwegens.
    Nur gelegentlich sieht man hier ein kommerzielles oder ein Fischerboot mit Touristen, die auf Lachs oder Heilbutt gehen, ansonsten verkehren hauptsächlich Kreuzfahrtschiffe auf dem Weg nach Alaska. Wie die meisten selbstständigen Fischer war Miller hinter dem Rotlachs her, den er mit Ringwadennetzen in den nahe gelegenen Buchten und im Ozean fing. Er war zufrieden, wenn er mit seinem Fang die eigenen Kosten decken konnte, wusste er doch, dass in diesen Gewässern nur wenige mit der Fischerei reich wurden. Doch trotz seiner begrenzten Erfahrung holte er dank einer guten Planung und seiner Begeisterung einen kleinen Gewinn heraus. Er trank einen Schluck Kaffee aus seiner Tasse und warf einen Blick auf das frontbündige Radarsichtgerät. Als er mehrere Meilen weiter nördlich zwei Schiffe entdeckte, ließ er das Rad los und verließ das Ruderhaus, um zum dritten Mal an diesem Tag die Netze zu überprüfen. Nachdem
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