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Ploetzlich Shakespeare

Ploetzlich Shakespeare

Titel: Ploetzlich Shakespeare
Autoren: David Safier
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Beziehungsstreitereien manchmal so ist: Wenn man ehrlich zu sich war, musste man akzeptieren, dass der andere hin und wieder auch mal recht hatte. «Tut mir leid», lenkte ich daher ein, «ich muss wirklich mehr Tempo machen.»
    «Und mir tut es leid, dich angeschrien zu haben», erwiderte ich mit schlechtem Gewissen.
     
    Wir beide vertrugen uns jetzt immer wieder schnell, das war besser, als sich, wie viele Liebende, bei einem Streit gegenseitig so lange mit Missachtung zu strafen, bis einem der beiden Gewebeproben aus dem Magengeschwür entnommen werden mussten. Unsere Art zu streiten war ein gutes Vorzeichen für eine - zugegeben nicht mehr allzu wahrscheinliche -spätere Beziehung.
    Von der Versöhnung befeuert, versuchte ich noch schneller zu klettern und erreichte das Trapez direkt unter dem Ausguck. Ich würde nur noch wenige Sekunden brauchen, um mich ächzend da hineinzuhieven. Mit festem Stand würde ich den ankommenden Drake von dort so hart treten, dass er im weiten Bogen flöge und sich nirgendwo mehr festhalten könnte. Die mögliche Rettung war also ganz nahe.
    Schade eigentlich, dass Drake mich in diesem Augenblick fest am Bein packte. Und mich in die Tiefe riss.
    Ich fiel vielleicht fünf Meter tief und knallte auf eins der schmalen Querbretter des Mastes, an dem die Segel hingen. Der Aufprall schmerzte höllisch, dabei brach ich mir vermutlich einige Rippen und konnte kaum noch atmen. Ich glitt mit meinem Oberkörper von dem Brett hinab, und es war nur meinem, aus der Liebe zu Shakespeare gespeisten, Überlebenswillen zu verdanken, dass ich mich in allerletzter Sekunde mit meinen Händen festhalten konnte. Mit ausgestreckten Armen, die Finger fest ins Holz gekrallt, baumelte ich circa fünfundzwanzig Meter über dem Deck.
    Ich versuchte mich wieder hochzuziehen, war aber viel zu schwach für einen Klimmzug. So baumelte ich weiter, und es war nur eine Frage der Zeit, bis ich herunterfallen würde. Eine Frage von extrem kurzer Zeit, denn wie lange hätte ich noch Kraft in Armen und Händen? Eine Minute? Eine halbe? Oder noch weniger, wenn man in Betracht zog, dass Drake auf dem schmalen Holz nun auf mich zukam, elegant balancierend, wie es nur ein Seemann konnte?
    Verzweifelt kam mir der Gedanke, mit der Hand nach seinem Fuß zu greifen, doch das war absurd. Bewegte ich auch nur meinen kleinen Finger ein bisschen, würde ich mich nicht mehr halten können. Das wusste auch Drake, der maliziös grinste: «Ich frage mich, was wohl passiert, wenn ich dir auf die Finger trete?»
    Jetzt widerten auch mich rhetorische Fragen an.
     

61
    Meine Rippen schmerzten, jeder Atemzug tat weh, meine Arme brannten wie Höllenfeuer. Doch am meisten brannte etwas anderes in mir: die Schuld, dass Shakespeare vor seiner Zeit sterben würde, nur weil ich in sein Leben getreten war.
    «Es tut mir leid», sagte ich daher traurig.
    «Das kommt zu spät», ätzte Drake.
    «Du warst nicht gemeint, Psycho!», raunzte ich ihn an. Dabei war es ziemlich schwer zu raunzen, wenn man mit gebrochenen Rippen an einem Mast hing. Noch schwerer wog die Tatsache, dass Drake recht hatte: Ich hätte mir das wirklich alles früher überlegen sollen. Ich hätte nach der wahren Liebe suchen und in meine Zeit zurückkehren sollen, anstatt Shakespeare in diese Situation zu bringen.
    Dank meines Egoismus würde er nie wieder seine Kinder sehen, er würde nicht mehr das     «Ich befürchte, wir müssen uns endgültig voneinander verabschieden.»
    Shakespeares Stimme war nicht von der körperlichen Anstrengung belastet und klang daher bemüht gefasst, dennoch konnte man heraushören, dass auch er traurig war. Ich kämpfte gegen meine Tränen an und antwortete: «Ja, wir müssen uns verabschieden.»
    «Auf ewig!», frohlockte Drake, und ich raunzte ihn noch schärfer an: «Sag mal, kannst du dich nicht endlich mal raushalten?»
    Der war davon sichtlich irritiert und murmelte: «Künstler... alle verrückt...»
    «Sagte der Soldatensohn der Kastrations-Mutter», spottete ich.
    Ich musste auflachen. Das war völlig irre. Da war ich dem Tod nahe, und Shakespeare brachte mich dennoch erneut zum Lachen!
    Drake brachte das allerdings noch mehr gegen mich auf:
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