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Plasma

Plasma

Titel: Plasma
Autoren: Jeff Carlson
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herfallen, ehe sie kräftig genug sind, sich zur Wehr zu setzen.«
    »Ich staune, dass es hier unten überhaupt Leben gibt«, warf Newcombe ein.
    »Reptilien haben eine niedrigere Körpertemperatur als wir«, sagte Cam.
    »Nicht immer«, widersprach Ruth. »Manchmal ist sie sogar höher. Kaltblutgeschöpfe sind ja nicht wirklich kalt. Sie sind nur nicht in der Lage, selbst eine höhere Körpertemperatur zu erzeugen, außer beim Laufen oder Fliegen. Stattdessen sonnen sie sich, um Wärme aufzunehmen. Dabei erreichen sie erstaunlich genaue Werte. Ich glaube, die meisten Reptilien fühlen sich zwischen 20 und 26 Grad Celsius am wohlsten, während Insekten in der Regel die Temperatur ihrer Umgebung annehmen.«
    Cam nickte langsam. Die Nanobots waren im Grunde kleine Wärmekraftmaschinen, die sich aktivierten, sobald sie 32 Grad Celsius erreichten. Und doch brach die Maschinenseuche seiner Erfahrung nach erst zwei bis drei Stunden nach dem Einnisten der Nanos in einen Wirtskörper aus. Möglicherweise kam es im Sommer um die Mittagszeit zu einem verstärkten Nano-Angriff auf die Insekten – aber schon am Nachmittag würden sich die Tiere wieder so weit abkühlen, dass ihnen die Pest nichts mehr anhaben konnte. Offensichtlich hatten genug von ihnen überlebt, die sich im Herbst, Winter und Frühjahr ungehindert vermehrten.
    Fische und Amphibien waren in Flüssen und Seen sicher, das hatte er selbst gesehen. Sie blieben unterhalb der kritischen Schwelle. In Höhenlagen galt dasselbe. Tiefere Temperaturen schützten die Reptilien und Insekten im Vor- und Hochgebirge. Von dort aus mussten sie in willkürlichen Wanderzügen in die Ebenen vorgedrungen sein und die Welt neu bevölkert haben.
    »Ich schätze, dass sie hier unten ständig von Ausrottung bedroht sind«, sagte Ruth. »Aber ich frage mich, ob eventuell Wale überlebt haben. Oder Delfine. Seehunde.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben manchmal Ausschau nach Walen gehalten. In der Raumstation oben, meine ich. Sie besitzen zwar eine dicke Fettschicht, aber wenn sie es kalt genug haben ... in der Arktis vielleicht oder unten am Südpol...«
    Es war ein schöner Gedanke. »Ich hoffe es«, meinte Cam, um sie ein wenig aufzumuntern.
    Dann legte er den Kopf in den Nacken und starrte an den Häusern vorbei. Cam hatte sich an das Gefühl gewöhnt, beobachtet zu werden, umlauert von leeren dunklen Fenstern und Geistern. Aber das hier war etwas anderes. Ein Geräusch. Die Toten hatten meist schon vor langer Zeit zur Ruhe gefunden, aber Unrat und Ungleichgewicht sorgten dafür, dass sich ständig Dinge aneinander rieben. Gebäude senkten sich. Müll geriet ins Rutschen. Und doch hatte sein Unterbewusstsein dieses eine Geräusch aus dem Murmeln und Wispern ringsum herausgefiltert, ein leises, fernes Geräusch, etwas wie eine Brise, obwohl der Vormittagshimmel klar und windstill war.
    »Hey«, sagte er.
    Newcombe schaute von dem Honda auf. »Was ist?«
    Der Laut erinnerte Cam an die Stürme in den Bergen, aber die Luft war unbewegt, und das ansteigende Schschschschhhhhh schien eher lokal begrenzt. Angst erfasste ihn. Er drehte sich um und versuchte das Geräusch zu orten. Es befand sich irgendwo nördlich von ihnen: etwas Großes, das rasch anschwoll. Die schonungslose Hitze hatte die Umgebung drastisch verändert. Konnte es denn sein, dass irgendein Temperaturgefälle zwischen dieser schlammigen Flutebene und dem toten Land Tornados auslöste ?
    »O Gott!«, stöhnte Ruth im gleichen Moment, als Cam das Dröhnen über dem Wasser erkannte.
    Düsenjäger.
    Sie suchten in einem modrigen, aber trockenen Abwasserkanal, der so eng war, dass sie nacheinander hineinkriechen mussten, Zuflucht. Newcombe glaubte, das Betonrohr und die Erdschicht darüber müssten ausreichen, um sie vor Sensoren aus der Luft zu schützen – und als die Düsenjäger zurückkehrten und ihre Bahnen kreuz und quer über den Himmel zu ziehen begannen, beschlossen sie, sich eine Weile in ihrem Versteck häuslich niederzulassen. Ihre Verbündeten in Colorado hatten sämtliche amerikanischen Spionagesatelliten unter Leadvilles Kontrolle mit falschen Befehlen zum Absturz gebracht. Aber die Regierung besaß noch einen Wärmebild-Satelliten, der die Region während der nächsten zwei Stunden im Normalfall zweimal überfliegen würde.
    Es war gar nicht so einfach, sich vor den Himmelsbeobachtern zu verbergen. Leadville hatte möglicherweise die Treibstoffreserven des Satelliten dazu verwendet, seinen Orbit und
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