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Pittys Blues

Pittys Blues

Titel: Pittys Blues
Autoren: Julia Gaebel
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Mühle. Man konnte durch die Bäume den Fluss sehen.
    Als die neuen, frischen Schneeflocken den Boden berührten, warfen Moe und Jones einen Blick in den Sugarclub, und es war, als wäre er nie leer gewesen und als würde die Dunkelheit ewig dauern.
    Sie sahen sich um, nirgends waren Dick und Pitty zu sehen.
    Also traten sie wieder vor die Tür, um dort auf die beiden zu warten.
    Und sie dachten, jeder für sich, dass nach dieser Nacht wohl nichts mehr so sein würde, wie es war.
     
    Das dachte sich auch Dick, als er mit Pitty im Schlepptau dem Sugarclub näher kam. Diese kleine Bruchbude war für ihn immer eine Zuflucht gewesen. Und jetzt sah diese sich unter dem Baum duckende Mühle aus, als wolle sie nach ihm schnappen.

    Dick sah sich um. Die Bäume wirkten dunkel und mächtig, die Schatten waren lang und verzerrten den Blick. Der Schnee ließ die Gegend noch unwirklicher erscheinen.
    Dick schloss seine Augen und versuchte, sich darüber klar zu werden, was er tun musste.
    Das war nicht leicht. In normalen Situationen konnte einem Denken schon schwerfallen. Aber unter diesen Umständen vernünftige Gedanken zu fassen war eindeutig zu viel verlangt. Also wunderte es auch nicht, dass Dick dabei war, richtig Bockmist zu bauen. Und da ihn niemand davon abhielt und ihm auf den Kopf haute, zog er es auch durch.
    Er hielt Pitty zurück:«Vielleicht ist es besser, wenn wir uns trennen.»
     
    Die hinkende Hannah war eine große, dicke Henne. Um so mehr erstaunte es, dass sie nicht mit einem lauten Plumps, sondern nur mit einem dumpfen Plop von der obersten Stange aufs Bodenstroh fiel. Gladie Lucas hatte sie gerade erst behutsam hochgehoben, aus Furcht, der Fuchs könnte sie holen. Und jetzt war diese blöde Henne einfach so runtergefallen, einfach so gestorben. Ja, sie war alt, aber das war doch kein Grund, nicht für Gladie Lucas. Ohne Drama, ohne Blut, ohne bösen Fuchs, an dem die überraschte Gladie ihre Wut hätte auslassen können. Eine anständige Portion Schrot hätte sie dem Hühnerdieb nur zu gern in den Hintern gejagt, das ist mal sicher. Sie hatte sich schon ein so gemütliches Lager im Hühnerstall gebaut, mit Decken und Kuchen,
alles umsonst. Wenn etwas Gladie Lucas noch wütender machte als eine nächtliche Wacht bei ihren Hühnern, dann war es Arbeit, die umsonst war. Und so beschloss sie, hauptsächlich aus Trotz, diese Nacht Totenwache bei ihrer besten Henne zu halten. Sie würde trotzdem auf den Fuchs warten und ihm jetzt erst recht ein paar Kugeln verpassen, quasi als ausgleichende Gerechtigkeit.
     
    Dick merkte in dem Moment, in dem er das Wort«trennen»in dem Mund nahm, dass es ihm ernst war.
    Und er erkannte, dass zwischen Pitty und ihm wirklich mehr war. Dass so viel da war, dass man sich trennen konnte.
    Das hat Moe mir gesagt, aber so richtig habe ich das erst verstanden, als mich Kiopha Port hat sitzen lassen und mit allen meinen Baseballkarten abgehauen ist.
    Pitty verstand ihn. In ihren Augen sammelten sich langsam Tränen, und ihr Gesicht fühlte sich an, als würde es jemand in Eiswasser tunken, aber sie wich nicht ein Stück weiter von ihm ab:«Warum?»
    «Du weißt so viele Dinge, die du gar nicht wissen kannst, und ich merke, dass ich dir genauso wenig über den Weg traue wie den anderen.»
    «Das stimmt nicht. Du traust mir, aber du traust dir nicht.»
    «Pitty, ich kann das nicht.»
    «Aber ich, ich kann das, und ich will das. Schick mich nicht weg.»
    Dick schaffte es nicht.

    «Ich werde dich jetzt nicht allein lassen. Ich verspreche, ich werde morgen gehen. Ich kann doch nichts dafür, was ich gesehen habe.»Pitty bettelte nicht, sie flehte nicht. Sie stellte fest. Jeder andere Mensch wäre mit diesen Worten geschrumpft, hätte sich kleingemacht, sich geduckt. Pitty nicht. Pitty wuchs, sie wurde überlebensgroß, sie sah aus, wie für solche Situationen geschaffen.
    Dick aber fühlte sich wie eingesperrt, mit bleischweren Gewichten um den Hals, die ihn in die Knie zwangen. Tief in sich drin wusste er, dass Pitty recht hatte, dass er ein Idiot war, aber in seiner nahenden Panik wollte er sich allen Ballasts entledigen.
    Sie standen voreinander und sahen sich an. Schneeflocken tanzten wie Glühwürmchen vor dem schwarzen Himmel. Sie flirrten und boxten sich, stießen sich voneinander ab und kamen trudelnd zum Liegen.
    Er nickte:«Okay.»
    Das reichte Pitty. Auf einmal konnte sie den Schnee wieder riechen. Er duftete nach Muskat und Magnolienblüten. Und er war weicher als
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