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Pittys Blues

Pittys Blues

Titel: Pittys Blues
Autoren: Julia Gaebel
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zuvor.
    Sie gingen zügig weiter. Aber Dick tat der Brustkorb so weh, dass er seine Hände schützend davor halten musste.
    Wie an Fäden zog der Lichtschein, der aus dem kleinen Fenster an der Seite des Sugarclubs fiel, Pitty und Dick zur Tür. Dick immer ein paar Schritte vor Pitty.
    Pittys Augen richteten sich auf den Bootsanleger, auf die kleine Holzhütte, den Sugarclub, der sich still an den Boden vor dem starken Baum duckte.

    Licht flackerte hinter den Fenstern, und plötzlich quollen Blues, Stimmengewirr und Wolken von Alkoholdunst und Tabakqualm aus jeder Ritze der Hütte.
    Pitty war ein Trichter, der alles aufnahm. Sie bewegte sich, als habe eine Seilwinde sich an ihrem Bauchnabel eingehakt und zöge sie langsam, aber stetig in dieses Loch in der Außenhaut des Sugarclubs. Die Musik wurde lauter, die unverständliche Gesprächsmasse entknäulte sich zu einzelnen Wortfetzen.
    Dick wollte gerade die eine Stufe zum Eingang nehmen, als ihm jemand, wie aus dem Nichts, in den Weg trat. Dick sah kurz aus wie eine in die Enge getriebene Wildkatze, mit angelegten Ohren und ausgefahrenen Krallen. Erst als er Jones erkannte, richtete er sich auf.
    Es ist dieses Licht, das die Menschen wie Motten in Tulipes Sugarclub lockt, dachte Pitty, als sie an Dicks Arm vor der Eingangstür stand. Jones vor ihnen warf einen langen Schatten.
    «Jones? Was gibt’s?»
    «Das frage ich dich.»
    «Ich will nur zu Tulipe. Kurz was klären.»
    «Das kannst du auch mit mir und Moe.»
    «Das glaube ich nicht.»Dick wollte Jones beiseiteschieben und durch die Tür gehen, aber Jones und Moe hielten ihn fest. Was keine gute Idee war.
    «Das glaube ich doch.»
    «Lass mich durch.»Dick knurrte.
    «Dick, du hast keine Ahnung.»
    «Ja, wie schön, dass du mein Problem erkannt hast!»Moe verschwand durch den Eingang, um Tulipe zu
holen. Aber in dem Moment hatte Dick sich schon aus Jones’ Griff befreit und war reingegangen, Pitty hinter ihm.
    Der Sugarclub atmete Jones seufzend ein.
    Dick schob Pitty in Richtung Tresen und stellte sich halb hinter, halb neben sie.
    Sie setzte einen Fuß vor den anderen und spürte, wie sich die speckig glänzenden, durch das Gewicht vieler Menschen durchgebogenen Bohlen unter ihren Füßen leise knarzend bogen. Es roch nach Qualm, nach verschüttetem Whiskey, Bier und Kaffee. Und ein leichter Hauch ledrig-pudrigen Parfums legte sich auf die Schwaden. Die Hütte troff vor verruchter Behaglichkeit.
    Pitty ließ ihren Blick schweifen und erkannte ein paar Gesichter, die sie im Laufe der zwei Tage gesehen hatte. Dick schaute sich unruhig um, bis er Tulipe erblickte. Sie stand hinten neben der Bühne und sah trotz ihrer offensichtlichen Müdigkeit umwerfend aus. Ein Kleid, das sich fließend an sie schmiegte und den Betrachter eben so viel sehen ließ, um seine Phantasie zu befeuern. Lange Ketten waren ein Spielzeug, um ihre unruhigen Finger zu disziplinieren, ihr rubinroter Lippenstift leuchtete wie ein schlagendes Herz.
    Und ich hockte damals draußen vor dem Fenster und merkte, dass es doch zu kalt für kurze Hosen und heruntergerutschte, ehemals weiße Wollsocken war.
    Dick ließ Pitty stehen und schob sich zur Bühne, griff sich auf dem Weg eine halb volle Whiskeyflasche, die herrenlos auf dem Tresen herumlungerte, setzte sie an
und nahm ein paar ganz und gar nicht fromme Schlucke, dass selbst Father Svenson, der schon wieder eine Zimmerecke als Halt brauchte, anerkennend den Mund verzog.
    Dick hatte sich fest vorgenommen, nicht vor Tulipe zu kuschen. Er hatte nichts zu verlieren. Er drehte sich um und traf Pittys Blick. Sie sah ihm nach, und Dick spürte einen großen Klumpen in seinem Hals.
    Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er das, was er vorhatte, angehen sollte. Er hatte es sich in seinem Schuldgefühl so saugemütlich eingerichtet, und die Tatsache, dass er jetzt aus diesem Nest geschubst würde, machte es nicht besser. Er wollte alles gleichzeitig: trinken, zur Sache kommen, abwarten, Tulipe zur Seite nehmen, alles in Ruhe mit ihr klären und sie vor allen Leuten zur Rede stellen.
    Dick war überfordert, und zwar so überfordert, dass er am liebsten wieder kehrtgemacht und seinen Kopf draußen vor der Tür in den Schnee gesteckt hätte.
    Und während er den restlichen Whiskey in seine Kehle stürzte und darüber nachdachte, welche Variante am klügsten wäre und dass Schnee ja auch eine tolle Sache sei, machte sich sein Körper selbstständig und entschied, dass er sich bis aufs Blut blamieren
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