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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut
Autoren: Astrid Geisler
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»allgemeine piratige Mandat«: Denke selbst, handele selbst, warte nicht auf Vorschläge oder Kommandos von oben! Eigentlich ein praktischer Ansatz. Ich frage mich nur, ob es nicht drunter und drüber gehen muss in einer Partei, wenn die Basis einfach beherzt ihre Ideen verwirklicht.
    Der »Basis«-Pirat aber scheint tatsächlich zu brennen für seine Botschaft: Sogar der Bundesvorstand habe in seiner Partei nur verwaltende Aufgaben, erklärt er. »Entscheidungen treffen wir grundsätzlich so« – sein Blick senkt sich zu seinen Turnschuhen. »Was habt ihr denn für ’ne Meinung?«, fragt er die fiktive Basis unten am Boden. »Okay«, sagt er nach einer Kunstpause, »dann machen wir das so!« Er strahlt in die Runde.
    Da ist es wieder, das Partei-Credo: Wir sind nichts, unsere Basis ist alles! Womöglich glauben viele Piraten wirklich daran. Mich verwundert das ein wenig. Klar, auch ich bin heute hier, weil mich der neue, basisdemokratische Ansatz der Piraten verlockt. Aber ist es nicht trotzdem naiv zu glauben, dass in einer Partei alle auf gleicher Augenhöhe mitbestimmen können, egal ob Anfänger oder Profi? Je flacher die Hierarchien, desto stärker die informellen Machtgefüge. Und die können ziemlich unangenehm sein.
    Hier im »Kinski« aber widerspricht niemand. Der Referent im »Basis«-T-Shirt ist inzwischen beim Thema Engagement angekommen. Die Piraten, sagt er, lebten vom ehrenamtlichen Einsatz jedes einzelnen Mitglieds. Nur sehr wenige Aktive seien für ihr Engagement bis heute mit Geld entlohnt worden. »Pirat zu sein, das ist eine Leidenschaft, die man sich leisten können muss!« Dafür bekomme man aber auch außergewöhnliche Chancen.
    Er zeigt jetzt auf den gediegen gekleideten Mittdreißiger, der neben mir auf der Couch an seinem Smartphone herumfingert. Das sei Jan, bekannt aus dem Spiegel . Ich linse zur Seite. Mir wird klar, wer da auf meinem Sofa sitzt. Ich habe Beeindruckendes über diesen Mann gelesen und kürzlich sogar schon seine Twitter-Nachrichten abonniert: Jan Hemme, Politikberater von Beruf. Ein Berliner Pirat, der es mit einer politischen Idee vom Küchentisch in die Bundespolitik geschafft hat – und nebenbei auch in den Spiegel . Kürzlich hat das Nachrichtenmagazin ihm zwei Seiten gewidmet. Denn Hemme war etwas Außergewöhnliches gelungen: Er hatte eine Initiative mit dem sperrigen Titel »Datenschutzniveau des Landes Berlin durch die Novellierung der EU -Datenschutzrichtlinien erhalten und ausbauen« auf direktem Weg online über die Meinungsbildungssoftware Liquid Feedback ins Berliner Abgeordnetenhaus gebracht.
    Bei Liquid Feedback stimmten zwar nur 104 Piraten für die Datenschutz-Idee, aber im Abgeordnetenhaus erwärmten sich plötzlich selbst CDU und SPD für den Vorstoß des Berliner Piraten. Das Landesparlament stimmte einer leicht abgewandelten Initiative zu, brachte sie bis in den Bundesrat. Und die Länderkammer sprach schließlich Ende März eine Rüge gegen die EU -Kommission aus.
    Für die Piraten ist Jan Hemme seither der leibhaftige Beweis, dass Bundespolitik anders funktionieren kann als in den großen Volksparteien – nämlich »bottom up«, also von unten nach oben. Auch der Spiegel notierte respektvoll: »Vom Laptop in die Volksvertretung: Was Hemme in der Hauptstadt gelang, könnte bald bundesweit die eingespielten demokratischen Prozesse durcheinanderbringen.«
    Hemme brummelt etwas, das sich anhört wie: »Guter Artikel.« Dann richtet er vom Sofa aus ein paar knappe Sätze an uns. Bei den Piraten etwas zu werden, das sei harte Arbeit. »Es leidet das Privatleben, es leidet der Job«, sagt er kühl. Wer denke, er könne hier die schnelle Karriere machen, der täusche sich.
    Wie charmant. Damit sind immerhin drei Dinge gesagt: Die Ochsentour scheint es auch bei den Piraten zu geben. Karrieristen sind offenbar ein Thema in der Partei. Und: Wir Neuen stehen unter Verdacht.
    Ich halte Ausschau nach Gestalten, die aussehen, als könnten sie klassische Karrieristen sein und wollten nur die jüngsten Erfolge der Piraten abschöpfen: Träumt vielleicht der auffällig seriös gekleidete Mann im braunen Cordsakko da drüben schon vom Einzug in den Bundestag im Herbst 2013? Oder der smart wirkende Student mit der Umhängetasche aus bunter Industrieplane? Einer der schwarz gekleideten Pferdeschwanzträger mit iPad auf den Knien? Oder bin vielleicht ich selbst die Verdächtige?
    Einerseits übers »Nach-unten-Schlafen« philosophieren, andererseits den Neuen erst
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