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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut
Autoren: Astrid Geisler
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Neugenossen anderswo im politischen Spektrum«, versprach die Informatikerin. »Unabhängig von Alter, Eloquenz oder Protegés ist der Zugang zum inhaltlichen Herz der Partei sofort gegeben. Diese Durchlässigkeit ist prägend und motivierend, ebenso wie die überwiegend positive Neugier, die den Piraten allerorten entgegenschlägt.« Ja wirklich?
    Sicherheitshalber lud ich mir vor fünf Tagen das komplette Grundsatzprogramm der Piraten aus dem Internet herunter – und las es von vorn bis hinten durch. Bei gerade einmal 13 Seiten, Deckblatt und Inhaltsverzeichnis inklusive, ging das zugegeben erfreulich schnell.
    Das Papier ist das Rudiment eines Programms. Es enthält Passagen, die mich befremdeten: »(…) Die Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum ist daher nicht nur berechtigt, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit der menschlichen Schöpfungsfähigkeiten von essenzieller Wichtigkeit.« Und andere Abschnitte, die mich kaltließen. Wenn ich bisher für eine Partei gestimmt hatte, dann nicht wegen ihrer Positionen zu Musiktauschbörsen oder zum Informationsfreiheitsgesetz. Aber: Nichts von all dem, was ich las, schreckte mich wirklich ab.
    Seit Wochen wurde dieser Partei vorgehalten, jedes ihrer programmatischen Ziele könne, kaum proklamiert, von der allmächtigen Basis quasi per Mausklick wieder gekippt werden. Wunderbar! Ich verstand das als Aufforderung zum Mitmachen, als verlockendes politisches Experiment. Zumal die Piraten in dem Programm versprachen, die digitale Revolution endlich auch für die Demokratie nutzbar zu machen.
    Aus dem Ikea-Schwingsessel in dem engen Ladenlokal in Berlin-Mitte betrachtet, erscheint mir diese Verheißung plötzlich einigermaßen größenwahnsinnig. Aber sie trifft meine Stimmung. Ich habe sieben Monate Elternzeit hinter mir, ich fühle mich fällig für ein politisches Abenteuer.
    Ich lege das leere Beitrittsformular auf meine Knie, fülle es aus. Als ich fertig bin, fällt mir auf, was ich da in der Hand halte. Einen weißen Kuli mit rotem Logo: SPD ! Ein Souvenir aus dem Berliner Wahlkampf im vergangenen Sommer. Wochenlang hatten uns die Sozialdemokraten mit Aufmerksamkeiten am Spielplatz aufgelauert.
    Hektisch lasse ich das Werbegeschenk in meiner Manteltasche verschwinden. Zum Glück sind die zwei Piraten in der Parteizentrale an diesem Montagmorgen viel zu beschäftigt, um sich für meinen Kugelschreiber zu interessieren. Die Partei sei gerade in einer ziemlich irren Phase, sagt der ältere Pirat entschuldigend. Vor lauter Aufnahmeanträgen kämen sie gar nicht mehr hinterher mit den Mitgliedsausweisen. »Eigentlich«, verkündet er, »müssten wir rufen: Aufnahmestopp!« Ein prüfender Blick in meine Richtung, dann ergänzt er: »War ein Witz.« Aber klar doch: Wieso sollte ich auch Scherze kapieren, wenn ich mir offensichtlich nicht mal selbst ein Beitrittsformular aus dem Internet ausdrucken kann?
    Ich muss wieder an meinen Kommilitonen Sascha denken: Als er in die FDP eintrat, hieß ihn der Bundesgeschäftsführer der Partei persönlich im Thomas-Dehler-Haus willkommen – mit Blumenstrauß, einer limitierten und damit sehr begehrten » FDP -Jubiläumsuhr« aus der »FDP Quality Collection«, auf deren Rückseite die Namen Walter Scheel, Otto Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher eingraviert waren, und den sagenhaften Worten: »Sie sind unser ›Mehr Brutto‹.« Das zumindest verbreitete die FDP in einer Pressemitteilung. Denn Sascha war angeblich das 10.000 Neumitglied des Jahres 2009. Und damals wähnte sich die FDP auf der Siegerstraße. Als ich Sascha unlängst anrief und ihn auf seine Parteimitgliedschaft ansprach, war er schon wieder ausgetreten.
    Ich versuche mir vorzustellen, womit wohl die Piraten im Jahr 2020 ihr hunderttausendstes Mitglied begrüßen könnten: Vielleicht mit einem Marina-Weisband-Gedenk- USB -Stick? Oder wird der heutzutage so wahnsinnig praktische Datenspeicher dann längst Geschichte sein – genau wie die Partei?
    Der kahlköpfige Pirat holt mich aus meinen Gedanken zurück. Seine Partei habe einfach nichts von Mitgliedern, die nur das orangefarbene Parteibuch wollten, weil das gerade angesagt sei, rumpelt er. »Wir brauchen Leute, die wirklich mitmachen!« Aus welchem Stadtteil ich überhaupt komme? Friedrichshain, antworte ich kleinlaut. Er deutet auf den Computerbildschirm: Das hier sei das Piraten-»Wiki«, das Online-Lexikon der Partei. »Hier findest du alle Informationen«, sagt er. »Die meisten kapieren’s aber
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