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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut
Autoren: Astrid Geisler
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meiner Freizeit in die Parteiarbeit zu stecken. Inzwischen aber stelle ich fest: Ich bin selbst auf dem besten Weg, eine passive Piratin zu werden. Nicht etwa, weil ich die Partei mit einem Mal uninteressant fände. Als berufstätige Mutter zweier Kleinkinder verliere ich aber die Lust, einen beträchtlichen Teil meiner Freizeit für basisdemokratische Real-Life-Parteiarbeit in Gasthäusern und Sportlerheimen dranzugeben – in einer Partei, deren Name doch in der Öffentlichkeit für den Weg hin zur virtuellen Demokratie steht.
    Ich hatte gehofft, mich bei euch vom Küchentisch aus online ins Parteileben einschalten zu können. Inzwischen würde ich behaupten: In der Piratenpartei ist mangels Delegiertensystem mindestens ebenso viel Offline-Engagement und Sitzfleisch gefragt wie anderswo.
    Letztlich ist das für mich die überraschendste Lehre aus meiner Zeit bei euch: Ich habe wieder mehr Respekt vor Menschen, die sich für die Politik hergeben – ob in der Piratenpartei, bei den Grünen, in der SPD oder der CDU . Ich begreife es plötzlich als Luxus, meine Stimme an Politiker übertragen zu können, denen ich zutraue, meine Anliegen einigermaßen sinnvoll zu vertreten. Denn eigentlich will ich auch gar nicht bis ins Detail selbst entscheiden, welches Rentensystem dieses Land braucht. Das lasse ich lieber andere regeln, die davon hoffentlich mehr verstehen als ich.
    Die größte Enttäuschung für mich als Piratin ist euer Umgang mit der Meinungsbildungssoftware Liquid Feedback. Keine Frage, die ersten Praxistests hatten mich selbst zu einer Liquid-Feed-back-Skeptikerin gemacht. Themen wie der »Abbau der degressiven Proportionalität im EU -Parlament« oder die Erweiterung des Strafgesetzbuchs sind zwar zweifellos spannend – aber kaum geeignet, mal eben zwischendurch mit einem Daumen-rauf- oder Daumen-runter-Klick entschieden zu werden.
    Es dauerte eine Weile, bis ich verstanden hatte, wie bedeutungslos Liquid Feedback in der Piratenpartei ist und wie groß die Vorbehalte vieler Mitglieder gegen die Software sind. Es passt ja auch nicht recht zu den Hymnen in der Presse: Liquid Feedback sei »das Herz der Piratenutopie«, jubelte erst kürzlich wieder das Zeit- Magazin. Ihr könnt wirklich froh sein, dass diejenigen, die so wohlklingende Sätze schreiben, offensichtlich keine Ahnung von euren Schwierigkeiten mit der Software haben.
    Mit jedem nervenzehrenden, basisdemokratischen Parteitag, den ich miterlebte, wurde mir eines klarer: Wenn ihr die Basisdemokratie weiter so radikal umsetzen wollt wie im Moment, dann müsst ihr Liquid Feedback endlich korrekt implementieren und zur Entscheidungsinstanz erheben. Die Abstimmungsergebnisse müssen verbindlich werden. Nur ist genau das bisher nicht passiert. Deshalb kann Liquid Feedback den Meinungsbildungsprozess in eurer Partei auch gar nicht flüssiger machen.
    Wieso nutzt ihr das Internet nicht wenigstens in eurem eigenen Laden für eure Idee von Basisdemokratie? Ich hatte mir wirklich vorgestellt, ihr Piraten wärt draufgängerischer. Als junge, progressive Partei könntet ihr solche Experimente wagen. Probiert doch einfach mal aus, was ihr seit Jahren selbstbewusst versprecht!
    Einige von euch finden es aber anscheinend wichtiger, sich in der Meinungsbildungssoftware hinter einem lächerlichen Pseudonym verstecken zu können. Sie berufen sich auf den Datenschutz. Klar kann man auf den Datenschutz pochen. Aber mit welchen Folgen?
    Seitdem ich selbst mühelos an einen Zweitaccount im Liquid Feedback gelangt bin, sind mir alle getarnt agierenden Nutzer der Software grundsätzlich suspekt. Dieses Unwohlsein werde ich so schnell nicht mehr los. Ich behaupte, das ist nicht allein mein Problem. Schon Mitte September hatte ich den Bundesvorstand auf Pirat111 aufmerksam gemacht. Wollt ihr raten, was daraufhin passiert ist? Nichts. Ich könnte nach wie vor sämtliche Voten in der Meinungsbildungssoftware verfälschen und euch mit fingierten Stellungnahmen zu euren Projekten in die Irre führen. Vielleicht bin ich ja nicht die Einzige, die das sonderbar findet.
    Hoppla, was ist denn das? Während ich diese Zeilen schreibe, trifft eine E-Mail von der Liquid-Feedback-Verwaltung in meinem Postfach ein:
    Hallo,
     
    dein mit dieser E-Mail-Adresse verknüpfter Account im bundesweiten Liquid-Feedback-System der Piratenpartei wurde inaktiviert und die Profildaten werden bald entfernt.
    Ich versuche, den Account von Pirat111 zu öffnen. Es klappt nicht. 81 Tage nach meinem Brief an
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