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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut
Autoren: Astrid Geisler
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Antrag auf der Tagesordnung nach vorne zu ziehen, scheitern an den Mehrheiten im Saal. Am späten Nachmittag ist klar: Das Projekt wird hier in Bochum nicht mal mehr zur Sprache kommen.
    Die Piraten wollen lieber noch möglichst viel Programm machen. Bereits am Mittag haben wir ein Umweltkapitel verabschiedet. Es beinhaltet den Atomausstieg binnen drei Jahren, es positioniert sich gegen Gorleben als Standort für ein Atommüll-Endlager, tritt für Pilotprojekte zum fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehr ein und umfasst auch ein Kapitel zur Nachhaltigkeit. Grundsätzlich finde ich das alles klasse. Endlich Konkurrenz für die Grünen! Aber ich wundere mich auch ein bisschen. Auf dem Gang wird an einem Catering-Stand warmes Mittagessen serviert – je nach Belieben mit Fleisch oder vegan, entweder gegen ein Pfand von einem Euro auf Porzellantellern oder pfandfrei auf Wegwerf-Plastikgeschirr. Wann immer ich dort vorbeikomme, sehe ich fast nur Piraten, die von Plastiktellern essen. Wie passt das zu einem so ehrgeizigen Ökoprogramm?
    Ja, manchmal frage ich mich, ob es vielen Mitstreitern im Saal am Ende gar nicht so wichtig ist, was sie im Detail so alles in ihr Programm beschließen. Soeben ruft der Versammlungsleiter einen Grundsatzantrag zur Landwirtschaft auf. »Gibt’s dazu Redebeiträge?« Niemand meldet sich. Also wird sofort abgestimmt – ohne Diskussion. Ich schaue mich um. Kann das sein? Die Luft ist voller gelber Ja-Karten. »Die Zweidrittelmehrheit wurde erreicht«, verkündet der Versammlungsleiter trocken.
    Ich bin baff. Heute früh in seiner Begrüßungsrede hatte Johannes Ponader sich empört, dass in unserem parlamentarischen System wichtige Gesetze schon mal in 45 Sekunden beschlossen würden. Und was machen wir? Verabschieden ein Kapitel zur Landwirtschaft für das Grundsatzprogramm, ohne dass auch nur ein Satz dazu gesagt worden wäre. Selbst der Antragsteller hatte das neue Kapitel mit keinem Wort eingeordnet, sondern nur bekräftigt, es sei wichtig, dass wir auch zur Landwirtschaft künftig eine Position beziehen könnten. Das mag sein. Aber dieses Kapitel enthält weitreichende Forderungen. Wir stellen uns darin gegen die »industrielle Massentierhaltung« und fordern, dass Deutschland eine »gentechnikfreie Region« wird. Passt das überhaupt zu unserem neuen Umweltprogramm? Auch darin sind Forderungen zum Thema Gentechnik enthalten, bloß klingen die für mich viel laxer. Und so frage ich mich gerade: Hätte nicht wenigstens in diesem Fall jemand aus dem Bundesvorstand ans Saalmikrofon eilen und eine Debatte eröffnen können?
    Den gesamten Parteitag über hat sich niemand aus dem Leitungsgremium der Piraten in irgendeine Programmdiskussion eingemischt. Ich weiß natürlich, dass das kein Zufall ist. Die Piraten erwarten von ihren Vorständen, nur verwaltend zu arbeiten –und sich bloß nicht als Vordenker zu betätigen. Wie selbstschädigend diese Haltung ist, wird mir heute so richtig klar. Der Parteivorstand betätigt sich wie eine Riege von Pressesprechern, er interpretiert Vollzogenes für die Medien. Bei der wichtigen Kursfindung aber lässt er die überforderte Partei alleine.
    Natürlich wünsche ich mir keinen Starkult, wie ihn andere Parteien zu solchen Anlässen pflegen, keine Jubelinszenierungen mit minutenlangem Applaus für die Vorsitzenden. Ich hätte mir aber gerne Schlömers Plädoyer für oder gegen die wirtschaftspolitischen Grundsatzanträge angehört. Warum soll sich ein kluger Mann wie er eine solche Empfehlung verkneifen, die jedem vorgestern eingetretenen Basispiraten ohne Durchblick erlaubt ist? Warum darf niemand aus dem Vorstand eine Route für meine Partei entwerfen? Wir könnten die Ideen ja im Zweifelsfall auch ablehnen. Ich finde dieses Führungskonzept wirklich abwegig.
    Wenn es überhaupt einen Star bei diesem Parteitag gibt, dann ist es ein kleiner Mann mit oranger Krawatte und schwarzem Zylinder auf dem Kopf. Er sitzt im Berliner Landesvorstand und nennt sich F0O0, was alle »Fuu« aussprechen. Zwei Stunden vor Ende des Parteitags gelingt ihm die kleine Sensation: F0O0 putscht seinen Antrag auf der Tagesordnung ganz nach oben. In dem Papier geht es um Zeitreisen. Jubel brandet auf, als er das Podium betritt, in der einen Hand eine braune Flasche. Das wird doch nicht etwa eine Bierflasche sein? F0O0 ruft: Wenn der Parteitag heute seinen Vorstoß zur Entwicklung einer Zeitreisetechnologie ins Wahlprogramm aufnehme, dann »haben wir die Chance, eine Partei zu
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