Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut
Autoren: Astrid Geisler
Vom Netzwerk:
mal Karrierismus unterstellen – mir kommt das ziemlich dialektisch vor. Aber ich kenne das schon. Als vier Tage nach mir die Netzaktivisten Anke und Daniel Domscheit-Berg ihre Mitgliedschaft bei den Piraten beantragten, ging es bei Twitter sofort los. Jemand fragte süffisant, wann sich die grüne Ex-Microsoft-Managerin wohl »spontan« zu einer Bundestagskandidatur entschließen werde. Ein anderer lästerte, was den Grünen einfalle, dieses »Karrieristen-Ehepaar bei uns endzulagern«. Es war der Pirat Jan Hemme, neben dem ich nun auf der Couch im »Kinski« sitze.
    Am liebsten würde ich ihn jetzt ansprechen und fragen, ob ich ihm irgendwie karrieristisch vorkomme. Aber ich will mich nicht unbeliebt machen. Nicht gleich am ersten Abend.
    Vorne startet der Pirat im »Basis«-T-Shirt gerade eine offene Diskussionsrunde. Und plötzlich geht es einmal quer durch die Bundes- und Landespolitik, von der CDU -Spendenaffäre zum Atomausstieg zum neuen Berliner Großflughafen. Einer bedauert mit ernster Miene, »dass es das Internet vor 100.000 Jahren noch nicht gab« – sonst hätte man viele gesellschaftliche Probleme vermeiden können. Ein alter Mann mit stattlichem Bauch wirft einen Kohl-Witz in die Runde. Dann schmettert er: »Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten!« Er redet sich in Schwung, prophezeit der Atomenergie ein Revival, kommentiert die neuen Flugrouten über der Hauptstadt. Und als es um das von der Piratenpartei propagierte bedingungslose Grundeinkommen geht, meldet er lautstark Zweifel an: »Ich selbst bin nämlich an Faulheit nicht zu überbieten!« Von hinten ruft jemand: »Immerhin biste hier!« Der Alte grinst zufrieden. Er genießt es, mal so viele Zuhörer zu haben.
    Es ist, als hätte jemand ein Internetforum ausgeschüttet und die Diskutanten in diesen Raum gepfercht. Jeder sagt, was ihm einfällt. Ich wünschte, ich könnte jetzt vorwärtsscrollen wie daheim am Computer.
    Ein unscheinbarer Mann ergreift das Wort. Er berichtet über eine Firmengründung, ihr Scheitern – und über die Schuldigen. Er wirkt aufgewühlt. Im Raum ist es unruhig geworden, der Lärm schluckt die Hälfte seiner Sätze. »Sorry, hast du die Geschichte verstanden?«, frage ich flüsternd den erfahrenen Piraten neben mir auf dem Sofa. Er murmelt etwas, das für mich wie »Keine Ahnung, irgendein Schwachsinn« klingt. Kurz darauf steht er auf und geht an die Bar.
    Schön zu wissen, dass nicht alle Piraten im Raum diese Form der Basisbeteiligung genießen. Geht mir genauso. Nur was sollen dann die Hymnen auf das Potenzial der Nobodys? Mit jeder Minute im »Kinski« wird mir das Verhältnis der Partei zu ihren Neulingen unklarer.
    Ich sehe mich um und beschließe, einen Blick in den hinteren Raum der Kneipe zu werfen. Dort sitzen in kleiner Runde schwarz gekleidete Männer um einen Couchtisch. Die Luft ist neblig von Zigarettenqualm, die Pferdeschwanzquote noch höher als vorne im Eingangsbereich. Tagt hier etwa ein Inner Circle? Könnte dies der eigentliche Piratenstammtisch sein? Auf alle Fälle ist dieses Hinterzimmer kein Ort für eine Nichtraucherin mit Holunder-Bionade in der Hand. Sollte ich vielleicht gleich nach Hause gehen?
    Auf halbem Weg nach draußen begegnet mir ein schlaksiger Typ. Er trägt einen dicken Rucksack auf dem Rücken und einen mit Buttons besetzten schwarzen Herrenhut, unter dem lange Haare herausbaumeln. »Ich bin der Simon.« Er streckt mir die Hand entgegen, sein Händedruck ist weich.
    Ich kenne den Mann – aus dem Fernsehen, aus der Zeitung, von Twitter. Simon Kowalewski, 31 Jahre, ist einer der fünfzehn Piraten, die seit Herbst 2011 im Berliner Landesparlament sitzen. Er war mal in der PDS aktiv, später in der Esoterikpartei »Die Violetten«. Vor der Wahl hat Simon Kowalewski sich als »Radikalfeminist« präsentiert, jetzt dient er der Piratenfraktion als frauenpolitischer Sprecher. Bei Twitter stenografiert er sein Leben so: »Mitglied des Abgeordnetenhauses. Veganer. Polyamor. Ingenieur der Informationstechnik. Administrator. Elektronik-Hacker. Nerd. Apple-User. Pirat.«
    Ob ich neu hier sei, fragt Simon Kowalewski mich freundlich. Ich berichte vom ausgefüllten Mitgliedsantrag und dass ich seither warte: auf eine Bestätigung von der Partei, einen Mitgliedsausweis, einen Zugang zu Liquid Feedback.
    Simon Kowalewski hört so gelassen zu, als habe er diese Geschichte schon sehr oft gehört. Er kann sie sogar erklären. Jedenfalls kommt es mir so vor. Im freundlichen Plauderton führt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher