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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut
Autoren: Astrid Geisler
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»Caminetto« gesellen, desto bunter wird die Runde – ein Ökonomiestudent und eine Ärztin sind gekommen, ein Fremdenführer und eine Schneidermeisterin, ein Informatiker und ein Netzaktivist. Die meisten sind erst ein paar Monate in der Partei. Ich zähle fast ebenso viele Frauen wie Männer. Keiner sieht aus wie einer dieser Nerds mit Pferdeschwanz und Mittelscheitel, denen ich kürzlich beim Stammtisch im »Kinski« begegnet war.
    Rechts neben mir sitzt Denis, der »Kapitän« dieser Basisgruppe, und bestellt sich eine Schinkenpizza. In seinem Profil im Piraten-»Wiki« steht: Er ist 28 Jahre alt, verheiratet, von Beruf Elektrotechniker, und hat sich der Piratenpartei kurz nach deren Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus angeschlossen. Die Begründung in seinem Nutzerprofil klingt leidenschaftlich: Die Piraten, schreibt Denis, arbeiteten am größten politischen Vorhaben »seit dem Mauerfall«. Sie wollten die politische Landschaft umgestalten, Beteiligung ermöglichen, Transparenz im Staat schaffen und Menschen »animieren, ihre Energie in die Beeinflussung ihres Miteinanders zu stecken«.
    Den letzten Punkt verstehe ich zwar nicht ganz, aber seit ich neben dem Kapitän im »Caminetto« sitze, kommt mir das auch nicht mehr so wichtig vor. Denis hat sich offensichtlich nicht ganz zufällig bei Twitter »Spreekaribik« genannt. Er sieht auch aus wie ein Surflehrer: Bermudashorts, T-Shirt, die dunklen Haare lässig nach hinten gekämmt. Ein spaßiger, kumpelhafter Kerl, den ich nach Feierabend im Fitnessstudio vermutet hätte. Oder auf der Tanzfläche. Aber nicht beim Parteitreffen.
    Ich denke zurück an meinen ersten Besuch in der Parteizentrale und den väterlichen Rat des kahlköpfigen Piraten: »Geh am besten einfach mal zu einem Crew-Treffen.« Hätte ich nicht einfach mal gleich auf ihn hören können?
    Stattdessen saß ich tagelang abends am Computer und durchkämmte das Piraten-»Wiki« nach dem passenden Einstieg ins Piratentum. Ob der Piratenpartei klar ist, welches Risiko ihr »Wiki« für die Parteiarbeit darstellt? Ich jedenfalls könnte problemlos mehrere Wochen kreuz und quer durch dieses Lexikon surfen, ohne mich für irgendeine Tätigkeit in der Partei zu entscheiden.
    Allein 146 bundesweite Arbeitsgemeinschaften listet das »Wiki« auf und noch viel mehr auf Landesebene. Doch welche davon würde zu mir passen? Sollte ich womöglich in die AG Datenschutz hineinhören, die AG Transparenz ausprobieren, die AG Überwachung testen? Oder lieber was Soziales? Die AG Sozialere Marktwirtschaft lockt mit dem Auftrag, die »inhaltliche Bedeutung des Kernprogrammes der Piratenpartei Deutschland für viele Bereiche herausarbeiten und Brücken für Erweiterungen bauen« zu wollen. Die AG Marktwirtschaft neu denken wirbt mit der These, die »Hardware unserer Wirtschaft und Gesellschaft« werde immer besser, wir brauchten jedoch »eine bessere Software – ein neues Betriebssystem mit eingeschlossen«. Die AG Sozialpolitik will schlicht einen »nachhaltigen sozialpolitischen Teil« für das Bundesprogramm der Partei erarbeiten. Wie das dann wohl bei der AG Bedingungsloses Grundeinkommen ankommt, bei der AG Sozialstaat und Unterhalt oder der AG Sozialversicherung?
    Die AG 2 X (benannt nach den zwei weiblichen Chromosomen) klingt für mich nicht weniger spannend als die AG 2G (benannt nach ihrem Ziel: Gesellschaftliche Gleichberechtigung). Und erst die AG Kriegswaffenrecht! Sie wirbt mit einem Maschinengewehr im Logo um Mitstreiter und lädt auf ihrer »Wiki«-Seite sogar zum »piratigen Flak-Vierlingschießen« ein. Hoppla, es muss sich um eine Fake-Gruppe handeln, eine Parodie auf die tatsächlich existierende AG Waffenrecht. Die allerdings meldet im »Wiki« allen Ernstes: das »piratige Vorderladerschießen« am 14. Juli falle leider aus! Verwundert surfe ich weiter.
    Es gibt auch eine AG Offline! Schon wieder ein Scherz? Oder ein Unterschlupf für Menschen wie mich, die im Internet noch nicht ihren Hauptwohnsitz haben? Ich klicke und staune. Selbst die AG Offline arbeitet online, und zwar »mit Skype in einer 24/7 Arbeits-Konferenz«, wie mir das »Wiki« erklärt: »Um in die Konferenz zu kommen (Saphirchen) ›Kirschjunkie‹ im Skype adden. Ihr werdet dann dazugeholt ...« Ich fürchte, das wird nicht passieren.
    Die Piraten hatten mich mit einem großen Versprechen gelockt: In dieser Partei stünden mir alle Türen offen, ich dürfe sofort mitmachen, auf allen Ebenen, ohne Ochsentour. Doch je länger ich
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