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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut
Autoren: Astrid Geisler
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erst mal nicht.« Er meint das gewiss freundlich.
    Inzwischen hetzt die Pressesprecherin, eine sportliche Mittdreißigerin mit blondem Kurzhaarschnitt, durch den Raum, sammelt wortlos die angebissenen Krapfen ein. Ihr Mitstreiter scheint nicht mehr an die Pressekonferenz zu denken, die hier in einer guten Stunde beginnen soll. »Geh am besten einfach mal zu einem Crew-Treffen«, rät er mir. Die Crews seien so was wie Ortsgruppen. Er klickt sich durch ein paar Internet-Seiten, dann zeigt er mir auf seinem Monitor: In meiner Berliner Nachbarschaft seien inzwischen schon drei Crews aktiv. Außerdem, sagt er, gebe es noch »Squads« – also landesweit aktive Arbeitsgruppen zu den unterschiedlichsten Themen- und Aufgabenfeldern. Er zum Beispiel sei im »Squad P 9« aktiv, der Parteizentralen- AG , benannt nach deren Postadresse: Pflugstraße 9a. Die Mitglieder des »Squad P 9« kümmerten sich ehrenamtlich um alles hier in der Parteizentrale: Bürgeranfragen am Telefon beantworten, Post bearbeiten, Glühbirnen auswechseln. »Die Termine unserer Squad-Treffen findest du im Wiki«, sagt er. »Komm einfach vorbei und mach mit, wenn du willst!«
    Ist das sein Ernst? Sollte ich nicht erst mal die Partei ein bisschen kennenlernen, bevor ich als ahnungslose Freiwillige in der Parteizentrale den Hörer abnehme, wenn das Telefon klingelt? Ach was, sagt der Pirat. »Ich bin hier auch ins kalte Wasser gesprungen.« Er klingt jetzt väterlich.
    Ich reiche ihm mein ausgefülltes Antragsformular. Er schaut sich hilflos um. »Da muss ein Eingangsstempel drauf!«, ruft der jüngere Pirat aus dem Nebenraum. Der Glatzkopf holt einen Stempel, fummelt an der Datumsanzeige herum. Bum. Der erste Eingangsnachweis sitzt verkehrt herum auf dem Papier. Bum. »7. Mai 2012«.
    Der Tag, an dem ich unter die Piraten fiel.
    Er steckt das Formular in eine Plastikablage. Ich bekomme ein ungutes Gefühl. Wird in den nächsten Wochen irgendwer in dieses Schubfach schauen? Interessiert sich hier überhaupt noch jemand für bedrucktes Papier? Der Pirat streckt mir seinen Daumen entgegen. Die Fingerkuppe ist dick mit blauer Tinte beschmiert. Er grinst schräg.
    Auf dem Heimweg fällt mir auf: Niemand in der Parteizentrale hat sich mir mit Namen vorgestellt. Vielleicht haben die beiden ehrenamtlichen Helfer das in der Hektik vergessen. Vielleicht hielten sie es auch für überflüssig. Schließlich veröffentlichen die Piraten ja so ziemlich alles im Internet.
    In der Straßenbahn ziehe ich mein Smartphone aus der Anoraktasche, tippe in der Suchmaschine ein: »Wiki P9 Squad«. Tatsächlich. Sogar der Schichtplan für die Geschäftsstelle findet sich im Netz. Und darin steht, welche Piraten an diesem Montagmorgen Dienst hatten. Wie es sich unter Piraten gehört, haben beide einen Steckbrief von sich ins Netz gestellt. So erfahre ich: Ronny, der Jüngere der beiden, ist Anfang dreißig, Elektrotechnik-Ingenieur und »Freund des technischen und menschlichen Fortschritts«. Michael, Anfang fünfzig, bringt gleich drei berufliche Qualifikationen für sein Ehrenamt in der Parteizentrale mit: »Fotograf, Journalist, Universaldiletant«. Ich muss schmunzeln: Ob der Tippfehler wohl Absicht ist?
    Als mein Freund abends aus dem Büro nach Hause kommt, ruft er neugierig: »Und?« Eigentlich keine übermäßig komplexe Frage. Aber ich stehe da, als sollte ich erklären, warum die Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum im Sinne der Nachhaltigkeit der menschlichen Schöpfungsfähigkeiten von essenzieller Wichtigkeit ist. »Puh«, sage ich erst mal. Dann: »Ziemlich unübersichtlich.«
    »Für eine Karriere bei denen bist du wahrscheinlich eh schon zu alt«, analysiert mein Freund auf seine unvergleichlich charmante Art. Wieso reden eigentlich alle immer gleich von Karriere, sobald es um mich und die Piraten geht? Meine Mutter warnt: »Pass auf, demnächst sitzt du im Bundestag!« Ein Kollege versichert: »Die brauchen genau solche Frauen wie dich, du wirst da bestimmt was!« Ich hingegen wäre schon froh, wenn ich in etwa wüsste, was ich als Nächstes tun soll. Auf den Tag zu warten, an dem ein Mitgliedsausweis in meinen Briefkasten liegt, scheint mir jedenfalls keine kluge Strategie. Ich versuche, mich an die Ratschläge des »Universaldiletanten« zu erinnern: Crew, Squad, Wiki. Vielleicht sollten die Piraten allen Neulingen erst mal ein Lexikon in die Hand drücken.
    Während mein Freund die Spaghetti für das Abendessen in den Topf wirft, frage ich
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