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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition)
Autoren: Kai Meyer
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Gesicht, sein Bart war seit unserer ersten Begegnung in der Wüste dichter und dunkler geworden.
    »Sie redet mit Flavie«, sagte ich tonlos.
    Haven hieb noch einmal in die Funken sprühende Elektronik.
    Tyler presste die Lippen aufeinander.
    »Ich glaube, sie will ihnen etwas sagen.« Schweiß lief mir in die Augen und brannte. »Etwas, das Tomasz zu uns gesagt hat.«
    Tyler konnte nicht wissen, wer Tomasz war, aber das hier war kaum der Moment, um ihm das zu erklären. Wenn Emma dort drinnen starb und sich die Smilewaves weiter verdichteten, dann würden wir hier unten noch genug Zeit zum Reden haben. Tage, sogar Wochen, falls wir Vorräte fanden. Es würde ein Tod auf Raten sein, nur Tyler, Haven und ich, tief unter Manhattan lebendig begraben.
    »Der Proband, der euch hergeführt hat?«, fragte er zu meinem Erstaunen und setzte hinzu: »Haven hat ihn erwähnt.«
    Ich hatte Mühe, mich auf etwas anderes als auf Emma zu konzentrieren. Trotzdem wurde mir bewusst, was seine Worte bedeuteten: Er und der Colonel hatten Zeit gehabt, miteinander zu reden.
    »Wie lange ist Emma schon da drinnen?«, fragte ich alarmiert.
    »Gut zehn Minuten. Sie hat Whitehead Dinge erzählt, die sie angeblich von Flavie und den anderen erfahren hat – ich glaube, sie hat das Blaue vom Himmel heruntergelogen. Aber plötzlich wurde er misstrauisch, ging auf sie los, und da hat sie die Pistole gezogen. Und …«
    »Und was?«
    »Dann fiel der Strom aus.«
    »Tomasz konnte Emmas Gedanken lesen«, murmelte ich. »Wenn Flavie das auch kann, dann wird sie längst wissen, was Emma vorhat. Dass sie da drinnen ist, um sie aufzuhalten.«
    Tylers Handschelle scharrte am Rohr entlang. »Menschen in Hypnose weckt man mit einem Signal, das man vorher mit ihnen vereinbart hat«, sagte er nachdenklich. »Ein Geräusch oder ein bestimmtes Wort.«
    Ich riss meinen Blick vom Bildschirm los. In Tylers Augen war ein Leuchten, das gerade eben noch nicht da gewesen war.
    Im selben Augenblick sackte Emma vor den Probanden zusammen.
    »Nein!« Ich sprang vor den Monitor und schlug hilflos mit der flachen Hand gegen die Wand. »Nein, verdammt noch mal, nicht so!«
    Haven schrie auf, als sein nächster Hieb eine Funkenfontäne auslöste, die ihn mitten ins Gesicht traf.
    »Rain!«, rief Tyler beschwörend und versuchte, meine Hand zu ergreifen. »Was hat dieser Tomasz zu euch gesagt? Was genau?«
    »Wir sollen ihnen ausrichten, dass er seine Aufgabe erfüllt hat.« Ich senkte den Blick, weil ich nicht länger zusehen konnte, wie Emma starb. Aber dann wirbelte ich herum und starrte Tyler entgeistert an. » Sagt ihnen, ich erfüllte meine Aufgabe. Nicht: Ich hab meine Aufgabe erfüllt. Ich erfüllte . So redet doch keiner, oder?«
    Er schüttelte aufgeregt den Kopf. »Die Bücher in Salazars Bibliothek, all diese Science-Fiction-Romane … Das ist ein Zitat! Der letzte Satz aus Valis , einem Buch von Philip K. Dick über falsche Religionen und Propheten … Ich erfüllte meine Aufgabe  – damit endet das Buch. Das ist es, oder? Das war Salazars Notbremse, für den Fall, dass die Dinge aus dem Ruder laufen.«
    Noch ein Hammerschlag. Funken ergossen sich über Haven, doch er hieb weiter auf die Elektronik ein wie ein Wahnsinniger.
    Und endlich verstand ich es. Tomasz hatte kaum noch sprechen können. Es war ihm nicht darum gegangen, dass wir ihn stützten. Er hatte nicht unsere Kräfte gebraucht – nur unsere Stimmen .
    »Die Sprechanlage!« Tyler riss an seiner Handschelle, kam aber nicht an die Knöpfe heran.
    Ich drückte auf den erstbesten.
    »Emma?«
    Ihr Name echote aus dem Lautsprecher zu uns zurück.
    »Sag es einfach!«, rief Tyler verzweifelt. Seine Worte hallten aus der Gegensprechanlage wider, so laut hatte er sie gerufen.
    »Ich erfüllte meine Aufgabe!«, brüllte ich in das Mikrofonfeld, dann erneut, viel lauter, und noch ein drittes Mal. Dabei konnte ich nur Emma ansehen, leblos vor der Reihe der Probanden.
    »Ich erfüllte meine Aufgabe!«
    Kabel und Schläuche der Aufhängungen gerieten in Schwingung, andere spannten sich wie Ketten an Kerkermauern.
    Haven schlug abermals zu und schrie.

47.
    Eine Flammenlohe schoss aus dem Schaltfeld und hüllte Haven ein. Als das Feuer verschwand, war sein Haar versengt, sein Gesicht fast völlig verbrannt. Aber noch setzten ihn die Verletzungen nicht außer Gefecht. Er hob den Hammer erneut. Aus dem Schloss des Schotts ertönte ein Zischen, als würde Dampf entweichen. Funkenregen sprühte hervor, dann fuhr
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