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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition)
Autoren: Kai Meyer
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Bild, die Totale des Probandenraums, verzerrt durch den extremen Weitwinkel. Whiteheads Geist und Emma waren deutlich zu erkennen.
    »Hau da ab!«, schrie ich ins Mikrofon. »Los, mach schon, verschwinde!«
    Emma ließ die Waffe fallen und warf sich herum.
    Aber sie rannte in die falsche Richtung, nicht zur Tür, sondern hinüber zu den Probanden. Nicht weit genug, um der Smilewave zu entkommen. Es gab keinen sicheren Ort in diesem Raum, Whiteheads Lächeln erreichte jeden Winkel. Selbst wenn die Wirkung dort hinten ein wenig schwächer war, würde Emma spätestens in ein, zwei Minuten tot sein.
    »Tut mir leid«, rief sie laut und es klang, als stünde sie neben mir. »Aber das hier ist unsere einzige Chance.«
    Der Rhythmus, in dem die Smilewaves auftraten, verkürzte sich zusehends. Zugleich hielten die einzelnen Wellen länger an. Bald würde es unmöglich sein, das Probandenlabor überhaupt noch einmal zu betreten. Der Weg durchs Treppenhaus war abgeschnitten, und wenn die letzten Generatoren dauerhaft ausfielen, würden auch die Aufzüge nicht mehr funktionieren. Dann saßen wir hier fest, während die Oberfläche durch das Lächeln unbewohnbar wurde und das wachsende Heer der Geister auch die letzten Überlebenden einholte.
    Mir war nicht klar, was genau Emma da ausprobierte – nur dass sie zu den Probanden ging und versuchte, Kontakt zu ihnen aufzunehmen. »Versuch es mit den Kabeln!«, rief ich ins Mikrofon. »Reiß sie raus!«
    »Das bringt nichts …« Ihre Stimme klang schon schwächer, Whiteheads Lächeln würde bald ihr Herz sprengen. »… muss mit ihnen reden … was Tomasz gesagt hat …«
    Das waren die letzten Worte, die ich verstand. Sie wurde zu leise für die Mikrofone im Raum und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Dann sprangen auch die letzten Generatoren wieder an, an der Decke leuchteten die Neonröhren auf. Zugleich kehrte das Rauschen zurück, das schon vorhin den Ton gestört hatte. Die Kraftfelder der Notstromgeneratoren störten die Übertragungsfrequenz.
    Mit einem letzten Blick auf die Monitore – Emma ging vor Flavie in die Hocke – verließ ich die Überwachungszentrale und stürmte hinaus in den weißen Korridor.
    Rechts den Gang hinunter, hatte Haven gesagt, ein gutes Stück entfernt. Nach zwanzig Metern kam ich an eine T-Kreuzung. Von rechts erklangen Stimmen, undeutlich und dumpf. Ich rannte in ihre Richtung, kam an eine Biegung nach links – und dann sah ich sie.
    Tyler war mit der Handschelle an eines der Rohre gefesselt, die überall an den Korridorwänden verliefen. Ein paar Meter weiter, außerhalb seiner Reichweite am Ende des Gangs, befand sich ein Stahlschott, das mehr Ähnlichkeit mit dem Zugang zu einem Banksafe hatte als mit einer Tür. Es stand weit offen. Ich war noch mehr als zehn Meter entfernt, konnte aber Haven erkennen, der sich dahinter an einem zweiten Schott zu schaffen machte. Er stand gebückt inmitten der Sicherheitsschleuse und schlug mit einem Hammer auf eine Schaltkonsole neben der Tür ein. Neben ihm am Boden lag eine Taschenlampe.
    Die beiden hatten mich noch nicht entdeckt. Haven war mit dem Schloss beschäftigt, während Tyler wie gebannt auf einen Monitor starrte, der außen neben dem vorderen Schott im Korridor angebracht war. Der Schirm war Teil einer Gegensprechanlage und ermöglichte einen Blick ins Innere des Labors. Von weitem sah ich eine gleißende Lichtsäule inmitten des Bildes – Whiteheads Geist.
    Mir blieb keine Zeit, mich über Tylers Anblick zu freuen. Ich rannte los und brüllte im Laufen: »Beeilen Sie sich, Colonel! Sie stirbt da drinnen!«
    Haven sah nicht mal über die Schulter und murmelte etwas, das im Dröhnen seiner Hammerschläge unterging.
    Tyler hingegen riss den Kopf herum. »Rain!« Das klang so erleichtert, als wäre ich tatsächlich von den Toten auferstanden.    
    Ich schenkte ihm ein knappes Lächeln, berührte seine Hand und blickte auf den Monitor. Emma und die Probanden befanden sich am anderen Ende des Raumes, dazwischen stand der Prediger als Statue aus Totenlicht. Meine Schwester kniete mit hängendem Kopf vor den Probanden und stützte sich mit einem Arm am Boden ab.
    »Es geht nicht!«, brüllte Haven, holte erneut mit dem Hammer aus und ließ ihn mit aller Kraft in ein Gewirr aus Kabeln und zerschmetterten Schaltern krachen. »Die magnetische Verriegelung ist noch aktiv!«
    Tyler starrte kopfschüttelnd auf den Monitor. »Was tut sie da nur?« Das lange Haar hing ihm wild ins
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