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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht
Autoren: Brigitte Riebe
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sich aus diesen Strömungen ein breites Spektrum unterschiedlichster Richtungen, von den radikalen fraticelli, die in kleinen »Ketzernestern« auf dem Ideal absoluter Armut beharrten, bis hin zu den Beginen, frommen Frauen, die vor allem in den städtischen Siedlungen am Rhein entlang in selbst gewählten Gemeinschaften von ihrer Hände Arbeit lebten. Sie waren selbständig und wurden gebraucht - nicht nur vom Klerus, der, zum Missmut der entsprechenden Zünfte, auf ihre Klöppeleien und kunstvollen Goldwebereien nicht verzichten konnte und wollte, sondern auch von den Kommunen, für die sie in wichtigen Bereichen unverzichtbare soziale Dienste leisteten.
    In diesen spannungs- und facettenreichen, zum Teil sehr heftig geführten Auseinandersetzungen der »reichen« mit der »armen« Kirche bildete sich allmählich ein neues, bislang unbekanntes, sehr persönlich gefärbtes Frömmigkeitsgefühl heraus, das auf individuelle Weise ohne den Umweg einer kirchlichen Zwischeninstanz den unmittelbaren Weg zu Gott suchte und damit schon den selbstbewussten Menschen der Renaissance impliziert, der sich gläubig, aber aktiv seinem Christus nähert.
V
    Wer außerhalb dieser - wenn auch zunehmend brüchigen - Gemeinschaft aller Gläubigen stand, waren die Juden. Waren sie im Hochmittelalter noch allgemein angesehen und als rechtmäßige »Bürger« anerkannt, so bedeutet für das Heilige Römische Reich deutscher Nation das Jahr 1343 den Zeitpunkt für den endgültigen Verlust ihrer Bürgerrechte. In diesem Jahr setzte Ludwig der Bayer die Theorie von der »Knechtschaft« der Juden, die sich bereits seit Jahrzehnten in zahlreichen hochdotierten Sondererlässen für die kaiserliche Kasse angedeutet hatte, mit letzter Konsequenz in die Wirklichkeit um. Er führte die Kopfsteuer ein, eine jährliche Abgabe von einem Gulden, die jeder über zwölf Jahre alte Jude von jetzt ab an die kaiserliche Finanzverwaltung abführen musste und dafür im Gegenzug unter dem Schutz des Kaisers stand. Allerdings existierte dieser Schutz durch die »kaiserliche Kammer«, deren Knechte sie waren, nur auf dem Papier. Die von ihrer Geldnot mehr und mehr getriebenen Kaiser traten zunehmend den Städten »ihre« Juden oder die Schuldforderungen »ihrer« Juden ab.
    Inzwischen war den Juden der Zugang zu so gut wie jedem Handwerk verwehrt; die Zünfte schlossen sich immer hermetischer gegen Eindringlinge aller Art ab. Deshalb hatten die Juden sich notgedrungen mehr und mehr auf den Geldverleih und das Zinswesen verlegt, was dazu führte, dass die christliche Bevölkerung, die in diesem Bereich auf ihre Dienste angewiesen war (und der diese Geschäfte von der Kirche verboten waren), immer argwöhnischer mit Neid und Missgunst auf sie starrte. Das ohnehin schon instabile Gleichgewicht verschob sich endgültig zu ihren Ungunsten, als sich in ganz Europa die Nachricht von der Schwarzen Pest verbreitete und allerorts panisch nach möglichen Schuldigen, nach Sündenböcken, gesucht wurde.
VI
    Im Oktober 1347 liefen zwei genuesische Handelsschiffe mit toten und sterbenden Männern in den Hafen des sizilianischen Messina ein. Sie hatten Schwellungen in Hühnereigröße unter den Achseln und in der Leistengegend. Die Kranken starben unter heftigen Schmerzen, sehr schnell, wenige Tage nach den ersten Anzeichen. Als sich die Seuche weiter ausbreitete, traten weitere Symptome auf: Blutspucken und hohes Fieber. Die Opfer husteten, schwitzten und verendeten im Delirium, manchmal innerhalb von Stunden. Und die Seuche verbreitete sich mit Windeseile weiter …
    Bis 1348 hielt die Pest bereits ganz Frankreich im Würgegriff; ebenfalls Rom und das restliche Italien. Sie regierte in Spanien, England und kam Mitte 1348 über die Alpen nach Tirol, in die Steiermark, die Schweiz und nach Bayern. Köln erreichte sie im Dezember 1349.
    Schätzungsweise starben zwischen 20 und 25 Millionen Menschen, rund ein Drittel der gesamten Bevölkerung Europas. Manche Dörfer und Gegenden waren für Jahrzehnte menschenleere Wüsteneien. Wie viele Tote die Seuche genau kostete, weiß bis heute niemand mit Bestimmtheit.
VII
    Als Schuldige wurden die Juden gesehen. Überall in Europa verbreitete sich das Gerücht, sie hätten Christenkinder geschlachtet, Hostien geschändet und vorsätzlich Brunnen vergiftet und wären so die Auslöser für dieses schreckliche Übel, gegen das kein Kraut (der damaligen Medizin) gewachsen war.
    Die Kunde von dieser »Schuld« der Juden trugen vor allem die
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