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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne
Autoren: Federica de Cescco
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tätschelte Karin die Wange und sagte: »Laß dich nicht von Alain tyrannisieren!«
    »Dafür werde ich schon sorgen«, versprach Mireille mit Nachdruck.
    Finette begleitete sie bis zur Ladentür. Dort blieb sie stehen, die Hände in den Taschen ihrer Schürze, und blickte ihnen nach. Ihr feingerunzeltes Gesicht, das die Sonne beschien, sah heiter aus. Frau Colomb, die soeben ihren Wagen getankt hatte, fuhr vor und half den Mädchen beim Verstauen des Gepäcks im Kofferraum des Peugeots.
    »Mireille kann hinten sitzen, sie kennt die Gegend!« sagte sie, nahm am Steuer Platz und setzte sich eine Sonnenbrille auf. Der Peugeot fuhr an, schlängelte sich durch verwinkelte Gassen und bog in den Boulevard des Lices ein. Es war Markttag. Menschen, beladen mit Körben und Taschen, drängten sich um die Stände. Karin sah Pyramiden von Früchten und Gemüse, Berge von grünen und schwarzen Oliven, reihenweise Gläser mit Eingemachtem und Honigtöpfe. Rinds- und Kalbsviertel wurden feilgeboten, und Eisstücke schützten die frischen Fische vor der Sonnenwärme. In winzigen Käfigen hockten traurige Hühner, zappelnde Hasen wurden von den Verkäufern an den Ohren hochgehalten. Der Peugeot fuhr die Textilstände entlang, wo Hosen und Pullover an den Pfählen hingen und ganze Stöße von Unterwäsche auf den Tischen lagen. Bei der roten Ampel staute sich eine dreifache Schlange Lastwagen, Motorräder und Personenwagen. Alle Motoren liefen auf vollen Touren, Karin hielt sich die Nase zu.
    Frau Colomb schob ihre Sonnenbrille auf die Stirn und sagte: »Bald haben wir das Gewühl hinter uns.«
    Die Ampel wechselte auf Grün, und alle brausten in derselben Sekunde los. Der Peugeot bog in eine Straße ab, dann in eine andere. Bald schon waren sie am Stadtrand. Auf einem sandigen, von Platanen beschatteten Gelände spielten alte Männer das Boule-Spiel. Todernst und gesammelt berechneten sie den Wurf und warfen dann die Kugel mit ausholender Bewegung. Die Sonne stieg höher. Frau Colomb fuhr schnell, mit offenem Fenster. Warmer Wind durchzog den Wagen. Der Weg führte jetzt durch eine weite, ebene Landschaft, wo dunstige Luftspiegelungen bläulich schimmerten.
    »Das ist schon die Camargue«, sagte Mireille.
    »Ich dachte, es wäre wildes, unbebautes Land«, sagte Karin. »Aber da sind ja überall grüne Felder.«
    »Das sind Reisfelder«, sagte Frau Colomb. »Irgendein kluger Kopf ist auf den Gedanken gekommen, die seichten Süßwasserweiher für den Reisbau zu nutzen. Seit einigen Jahren bezieht Frankreich neunzig Prozent seines Reisbedarfs aus der Camargue. Für die Leute da ist das natürlich gut; aber von der unberührten Wildheit ist so wieder ein Teil verlorengegangen.« Sosehr Karin auch den Kopf wendete und drehte, es gab nicht viel zu sehen. Der Blick reichte nur bis zu einer Wand aus Zypressen und Tamarinden oder verlor sich in gräulichem Dunst, der über dem salzglitzernden Boden lag.
    »Wo sind denn die Pferde?« fragte sie etwas enttäuscht. Frau Colomb lachte.
    »Nur Geduld, du wirst sie bald sehen.«
    Immer mehr wurde die Landschaft von Wasserläufen und Tümpeln durchzogen. Es staute sich in den Kanälen und in den natürlichen Vertiefungen, die von Grundwassern durchsickert wurden. Wie große stumpfe Spiegel glänzten die Weiher.
    Plötzlich packte Frau Colomb Karin am Arm. »Da, schau!« Zwei rosa Flamingos glitten über das Wasser; ihre Flügel schlugen hoheitsvoll und gemächlich. Andere standen auf einem Bein; die Vögel sahen wie bizarre Blumen aus, die sich auf ihrem Stengel im Gleichgewicht hielten. Einige stolzierten durch den Schlamm, wobei ihr langer Hals im Takt auf und ab wippte. Frau Colomb fuhr langsamer. Autos mit schweizerischen oder deutschen Nummernschildern überholten sie. Einige parkten am Straßenrand. Karin sah, wie auf der anderen Seite Touristen irgend etwas filmten. Ein entzückter Schrei entfuhr ihr: Stiere weideten im hohen Schilf. Die mächtigen Rücken, die schweren, hochmütigen Köpfe mit den sichelförmigen Hörnern durchdrangen ruhig und gewaltig die biegsamen Rohre.
    Frau Colomb hatte den Wagen angehalten, damit Karin besser sehen konnte.
    »Die Weiden sind mit Stacheldraht eingezäunt«, sagte sie. »Den Touristen ist es an sich verboten, sich den Stieren zu nähern. Trotzdem gibt es manchmal Unfälle.«
    »Geschieht ihnen ganz recht«, sagte Mireille. »Ein Stier ist kein sanfter Hammel!«
    Frau Colomb setzte den Wagen wieder in Gang. Abermals stieß Karin einen Freudenschrei aus:
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