Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen
Autoren: Anna Kendall
Vom Netzwerk:
muss …«
    » Ihr müsst fort. Ja. Aber noch nicht gleich.«
    Sie trat an meine andere Seite, gegenüber von Maggie, die ein wenig zurückwich, aber mein Gewicht weiterhin stützte. Nun nahm Mutter Chilton den Großteil meiner Masse auf sich. Sie war ebenfalls sehr viel stärker, als sie aussah. Traf das wohl auf alle Frauen zu?
    Nein. Nicht auf Cecilia.
    » Trink das«, sagte Mutter Chilton, und ich gehorchte.
    Der Effekt trat sofort ein. Nicht nur meine Schmerzen verschwanden, ich wurde auch von Kraft durchströmt. Ich stellte mich aufrecht hin, spürte, wie meine Knie wieder erstarkten, wie der Schwindel aus meinem Kopf wich, wie meine Sicht sich schärfte.
    » Es wird nicht lange vorhalten, und du wirst anschließend dafür bezahlen«, sagte Mutter Chilton. » Man bezahlt immer, für alles. Aber das weißt du bereits besser als die meisten, Roger Kilbourne, oder nicht? Kommt.«
    Dann fanden wir die Türen zum großen Thronsaal unversperrt und offen vor und gingen hindurch. Mit meinem Verstand war noch etwas geschehen: Er schwebte nun genau über meinem Kopf, scharfäugig, aber irgendwie unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich sah alles, verstand alles, entschied aber nichts. Mutter Chilton entschied, und ich war damit zufrieden, fraglos zu gehorchen, eine Pflanze, die ihre Blätter dreht, damit sie der Sonne folgen kann. Der Trank … irgendetwas war in diesem Trank gewesen …
    Mutter Chilton führte uns durch den riesigen Thronsaal, der einst von Lord Soleks Männern erfüllt gewesen war, die zu seinem Ruhm sangen, als er im Königinnenreich eingetroffen war.
    Ay-la ay-la mechel ah!
    Ay-la ay-la mechel ah!
    Bee-la kor-so tarel ah!
    Ay-la ay-la mechel ah!
    Es schien, als würde der Gesang der Wilden nach wie vor meine Ohren erfüllen, obwohl der große Raum nun still und leer war. Mutter Chilton hielt an einem leeren Abschnitt der Wand links des Podiums inne, und ihre Finger bewegten sich rasch über bestimmte Bereiche des Steins: Erst oben, dann unten, dann wieder oben. Der Stein schwang auf.
    Maggie keuchte, aber ich lächelte nur. Es war schon in Ordnung. Alles war in Ordnung, seit ich den Trank zu mir genommen hatte, und natürlich gab es im Palast Geheimgänge, hatte ich das nicht schon immer gewusst? Wie dumm Maggie war, dass sie sich davon einschüchtern ließ. Die Königin hatte doch Bedarf gehabt an … Die Königin … Es gab etwas, das ich mir in Bezug auf die Königin ins Gedächtnis rufen sollte, aber ich konnte es nicht. Alles, woran ich mich erinnerte, war, wie sie sich im Kerzenlicht in ihren Privatgemächern über mich gebeugt hatte, schöner als jedes Gemälde, und mir einen Weinkelch gereicht hatte. Ich war gerade von einer Reise zurückgekehrt – welcher Reise? Wohin? Ich konnte mich offenbar nicht erinnern, und doch war es da, irgendwo in meinen Gedanken … etwas über die Königin …
    » Kommt«, sagte Mutter Chilton.
    Eine weitere Treppe. Aber diese stieg ich mühelos empor, ohne Anstrengung. Und warum auch nicht? Alles war in Ordnung, war immer in Ordnung gewesen, würde immer in Ordnung sein. Ich lächelte Maggie an, die mich anstarrte, und stieg die Wendeltreppe empor. Ein Turm … wir stiegen auf einen Turm. In Gloria gab es nur einen Turm. War ich hier nicht schon einmal hinaufgestiegen? Ich konnte mich nicht richtig erinnern.
    Eine weitere Tür, und wir standen in einem winzigen Raum, noch kleiner als der Apfelkeller. Zwei senkrechte Schlitze im Stein ließen Tageslicht herein. Mutter Chilton schloss die Tür hinter sich.
    Maggie fragte aufgebracht: » Welchen Trank habt Ihr ihm gegeben?«
    » Das ist nicht deine Angelegenheit, Kind«, sagte Mutter Chilton.
    » Wenn Ihr diesen Geheimraum gekannt habt, weshalb musste ich ihn dann in den Apfelkeller bringen? Wo die Wahrscheinlichkeit größer war, dass er gefunden wurde?«
    » Dieser Raum ist nicht geheim, solange die Königin lebt.«
    Die Königin. Es gab etwas in Bezug auf die Königin, an das ich mich erinnern sollte …
    Ich sagte träge: » Ich rieche Rauch.«
    Maggie schrie auf und sprang zu einem der senkrechten Schlitze in der Mauer. Was konnte dort draußen sein? Mit einem Lächeln, weil sie gar so eifrig war, begab ich mich zum zweiten Schlitz.
    » Pass auf, Roger«, sagte Mutter Chilton ruhig. » Der Trank wird sehr bald nachlassen.«
    » Oh«, sagte ich, ohne mir Sorgen zu machen. Ich drückte mein Auge an den Schlitz.
    Von dem kleinen Raum blickte man über eine der Brücken hinaus, die über den Fluss führten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher