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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen
Autoren: Anna Kendall
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Chilton nicht mehr war als eine begabte Heilerin. Ich war entschlossen, diese Dinge zu glauben.
    Maggie fuhr fort: » Die Königin hat mich bei sich behalten, versucht, aus mir eine Verbündete zu machen. Als sie gesehen hat, dass sie damit keinen Erfolg haben würde, hat sie mir mit Folter gedroht, aber sie hatte mich noch nicht in den Kerker geschickt, als die Blauen eingetroffen sind. Ich denke, sie hatte immer noch die Hoffnung, mich mit Seidenkleidern und grünen Edelsteinen bestechen zu können.« Maggies Stimme wurde verächtlich.
    » Tut dein Gesicht weh?«
    » Nicht mehr. Es sieht nur furchtbar aus.« Sie versuchte zu lächeln, aber es misslang ihr.
    » Wo ist die Königin jetzt?«
    » Im Kerker. Die Blauen halten die Burg.« Sie berührte ihr blaues Kleid. Ich sah jetzt, dass es hastig und unvollkommen gefärbt worden war. Grüne Streifen waren am Saum und am Kragen zu sehen.
    Ich sagte: » Als ich hier aufgewacht bin, dachte ich, dass ich vielleicht im Kerker bin.«
    Da lächelte sie. » Du bist im Keller, in dem die getrockneten Äpfel aufbewahrt werden, Roger.«
    » Ich sehe keine getrockneten Äpfel.«
    » Es ist Frühsommer. Die Äpfel sind über den Winter alle gegessen worden. Das macht man so mit getrockneten Äpfeln.«
    » Wie bin ich hergekommen?«
    » Joan Campford und ich haben dich hergebracht.«
    » Joan? Die Wäscherin? Sie war da?«
    » Sie ist dir von der Wäscherei gefolgt. Sie und ich haben dich weggeschleift. Deine Hand … da war so viel Blut … wie auch immer. Der Hauptmann der Blauen hat uns aufgetragen, dich wegzubringen und zu verstecken. Ich habe das nicht verstanden – ich verstehe es noch immer nicht. Du hast die Blauen zurückgebracht, und doch stand so viel Hass auf dich in seinem Gesicht!«
    Ich verstand es. Bei einem Soldaten offenbart sich Angst als Hass.
    Maggie fuhr fort. » Du warst voller Blut und Seife. Alles war im Aufruhr, im Palast hat man gekämpft und getötet und geschrien …« Sie erschauerte. » Auf jeden Fall haben dich Joan und ich an den Füßen fortgeschleift – mein Unterrock war um deine blutende Hand gewickelt –, in die Küche, und dann in diesen Apfelkeller. Ich bin losgelaufen, um Mutter Chilton zu holen.«
    » Und die Königin? Sie werden …« Aber ich kannte die Antwort bereits.
    » Sie werden sie als Hexe verbrennen.«
    » Wann?«
    » Morgen Mittag. Roger – ist sie eine Hexe?«
    » Ich weiß es nicht. Die Königin hat erkannt … sie konnte sehen … Glaubst du, dass Mutter Chilton eine Hexe ist?«
    » Nein!« Maggie wirkte erschrocken. » Sie ist eine Heilerin, das ist alles. Und sie ist ein guter Mensch. Nicht wie die Königin!«
    Die Königin war kein guter Mensch. Sie hatte ihre Mutter vergiftet, ihre Feinde ermordet, hilflose Bedienstete wie mich und Maggie mit Folter bedroht. Aber ich erinnerte mich auch an die kleinen und unnötigen Freundlichkeiten der Königin mir gegenüber, erinnerte mich an die Verzweiflung, mit der sie das Königinnenreich für die kleine Prinzessin Stephanie hatte schützen wollen, erinnerte mich an die Art, wie ihre dramatische Schönheit im Licht der Kerzen geleuchtet hatte. Sie würde ihr Leben beenden, wie sie es gelebt hatte, als ein Rätsel für alle. Morgen Mittag würde jene Schönheit im Feuer verkohlen, dieses cremefarbene Fleisch würde braten, genauso wie Cecilias Fleisch im Seelenrankenmoor …
    Denk nicht daran.
    » Was ist?«, fragte Maggie mit ängstlicher Stimme. » Du hast eine Minute lang ausgesehen, als … tut deine Hand schlimmer weh?«
    » Nein.«
    Sie war einen Augenblick lang still. Dann sagte sie: » Dein Gesichtsausdruck hat sich verändert, als ich die Königin erwähnt habe. Hast du sie so sehr geliebt?«
    » Die Königin geliebt?«
    » Sei nicht dumm«, entgegnete Maggie scharf. » Die Königin ist ein Ungeheuer. Ich habe Lady Cecilia gemeint. Hast du sie so sehr geliebt?«
    » Ja«, sagte ich. » Früher.«
    » Früher? Also liebst du sie jetzt nicht mehr?«
    » Sie ist tot.«
    » Danach habe ich nicht gefragt. Meine Mutter hat meinen Vater noch lange geliebt, nachdem er tot war, bis sie selbst ins Grab gegangen ist. Liebst du Cecilia noch?«
    Maggie gab nicht nach. Außerdem fehlte ihr die Erfahrung. Sie wusste nicht, dass Liebe von Schuld, von Wut, von kindischer Selbstbezogenheit des oder der Geliebten erdrückt werden konnte – und doch gab es sie dann noch, wie Glut in einem Ascheeimer. Die Glut glühte nicht mehr, gab keine Wärme mehr ab. Aber sie schwelte noch, und ich
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