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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen
Autoren: Anna Kendall
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und Palast und Umland miteinander verbanden. Anfangs konnte ich nicht verstehen, was ich sah. Ein großes Feuer – war also Mittsommernacht? Zur Mittsommernacht gab es immer große Feuer. Aber auch wenn ich mich nicht richtig an das Datum erinnern konnte, war es nicht zu früh für Mittsommer? Oder zu spät? Auf jeden Fall waren Freudenfeuer eine Sache des Abends. Und es war mitten am Tag. Leute – viele Leute – rannten von dem Feuer fort. Dorfbewohner und Palastbedienstete, die alle auseinanderstoben und schrien. Was für ein Lärm! Andere Leute versuchten, näher an das Feuer heranzugelangen, und diese Leute schienen Soldaten zu sein, während weitere Soldaten sie aufhielten. Nichts davon ergab einen Sinn.
    Weshalb weinte Maggie so?
    Etwas Seltsames passierte mit den Soldaten, von denen die meisten in Blau gekleidet waren. Nein, nur die, die uns am nächsten waren, waren in Blau gekleidet … Es gab auch Reiter in Grün, und einen Mann auf einem riesigen schwarzen Streitross. Er sah vertraut aus. Ich konnte alles ganz scharf sehen, schärfer, als es bei einer solchen Entfernung möglich sein sollte; die Luft musste ganz besonders klar sein …
    Die Luft …
    Der Rauch …
    Die Kämpfe …
    » Pass auf«, sagte Mutter Chilton.
    Das Geschrei …
    Etwas flammte in meinem Kopf auf, und ich verstand.
    Königin Caroline wand sich und kreischte, an einen Pfahl inmitten des Scheiterhaufens gebunden. Die Flammen leckten schon an ihrem grünen Seidenkleid. An ihrem schwarzen Haar, dass wild herumflog, während sie um sich schlug, tauchten erste Flammenspitzen auf. Jenseits des Feuers stand ein Ring aus Blauen, den Blauen, die ich aus dem Land der Toten zurückgebracht hatte, und sie streckten jeden Mann nieder, der sie angriff. Lord Roberts Armee war in der Überzahl, aber die paar Hundert Blauen konnten nicht verwundet werden. Schwerter gingen durch sie hindurch, Knüppel zerschmetterten ihnen nicht die Schädel. Sie machten sich nicht einmal die Mühe, Schilde zu tragen. Die Angreifer jedoch fielen zu Boden, Blut sprudelte ihnen aus Armen, Brust, Mündern, und ich konnte sehen, wie sich ihre Gesichter vor Qual verzogen, als sie starben.
    Aber die Königin schrie immer weiter, ein hohes, unmenschliches Kreischen, als ihr Fleisch zu brennen begann.
    Lord Roberts Pferd pflügte durch die Kämpfe und erreichte irgendwie den Scheiterhaufen. Er warf sich von seinem Reittier, in dessen armem Körper drei oder vier Schwerter steckten, genau als das Tier auf dem vor Blut rutschigen Boden zusammenbrach. Lord Robert watete in den Scheiterhaufen, sprang zurück und ging abermals hinein. Mit seinem Schwert schlug er nach den Seilen, die die brennende Königin fesselten.
    Ein Blauer kam hinter ihm heran, hob das Schwert, bereit, es Lord Robert in den Rücken zu stoßen.
    Maggie schrie auf. Aber ich nicht – ich konnte nicht. Die Szene vor mir verschwamm, und wenn Mutter Chilton nicht gewesen wäre, wäre ich vielleicht gestürzt. Aber sie hielt mich aufrecht, schob mich gegen die Steinmauer, und daher sah ich, was als Nächstes geschah. Ich hatte schon gewusst, dass es geschehen würde, seit Maggie mir im Apfelkeller gesagt hatte, was für einen Tag wir hatten.
    Der Soldat der Blauen, der Lord Robert angriff, verschwand. Es ging schnell. Sein Fleisch zerfloss und zerfiel; ich konnte die groteske Maske sehen, zu der sein Gesicht wurde, aber nur einen Augenblick lang, weil es nur einen Augenblick dauerte. Sein Körper wurde zu Knochen, und die Knochen wurden zu Staub, und dann war alles, was übrig war, ein Haufen blauer Kleider und eine fleckige Rüstung – der Soldat war fort.
    Und genauso der Rest der Armee, die ich von den Toten zurückgeholt hatte.
    Lord Roberts Armee – das, was davon noch übrig war – fiel auf die Knie und bedeckte die Augen. Manche schrien, Worte, die durch die Angst und die Entfernung nicht mehr verständlich waren. Der Lärm war unglaublich. Aber ein Geräusch fehlte unter all den Rufen und Gebeten und Schreien.
    Die Königin kreischte nicht mehr.
    Ich sank in Mutter Chiltons Armen zusammen, und sie legte mich auf den Boden. Sie stand über mir, ihr altes Gesicht war ruhig. Sie sagte: » Caroline ist tot. Aber es ist nicht vorbei.«
    » Doch«, brachte ich noch heraus, trotz der Schwäche, die plötzlich jeden Teil meines Körpers befiel, als wäre ich mit schweren Steinen bedeckt. » Es … es ist vorbei.«
    » Ach, Roger, du verstehst es nicht.« Und dann sagte sie noch etwas, das Letzte, was ich sie
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