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Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Peter Ransley
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ihn. »Für uns war er die Pest«, sagte sie.
    Ohne ein weiteres Wort ging Matthew und rannte fast zum Karren. Er nahm die Schürze an sich, ehe er das Baby auf den Karren warf und es mit einem Bündel Stroh zudeckte. Die Schürze war aus feinstem Leinen gefertigt, das möglicherweise sogar aus Flandern stammte. Kate Beaumanns schmutziger Rock legte nahe, dass sie das Kind auf das Feld geworfen hatte, damit es starb. Das war ebenso verbreitet wie der Tod selbst. Matthew trank den letzten Schluck Bier, ehe er sich daran machte, den Shotover ein weiteres Mal zu überwinden.
    Die Frage war, warum Kate das Kind nicht einfach dort gelassen hatte. Oder es vergraben hatte. Oder es in den Fluss geworfen hatte. Babys sahen sich ziemlich ähnlich. Aber Leichen konnten gefunden werden.
    Mr Eatons Drängen und Angst zeugten deutlich davon, dass das nicht geschehen durfte. Vielleicht hatte das Kind besondere Gesichtszüge oder ein Muttermal. Wenn das der Fall war, war die Grube die ideale Lösung für das Problem.
    Eingesetzt zur Bekämpfung der Pest, fraß sich der Kalk rasch in die Leiber und Gesichter und verwandelte sie innerhalb weniger Tage in einen nicht wiederzuerkennenden Schleim. Niemand würde sich der Grube nähern und schon gar keine Leiche daraus hervorholen. Jemand wollte verhindern, dass man die Gesichtszüge des Kindes auf der Ladefläche seines Karrens erkannte oder vorgab, sie zu erkennen.
    Matthew zuckte mit den Schultern. Seine Hand schloss sich um den Anhänger, bis er die Umrisse des juwelenbesetzten Vogels und die Glieder der Kette ertastete, eines nach dem anderen. Dann hielt er inne, und er hörte auf, sie zu streicheln. Was, wenn man ihn verdächtigte, das Schmuckstück gestohlen zu haben? Es war riskant, viel zu riskant, es zurückzugeben. Die Pferde, die den Karren immer langsamer zogen, brauchten neue Hufeisen, und der Schmied würde das Gold einschmelzen. Die herausgebrochenen Edelsteine konnte er einzeln auf der Witney Fair oder in Oxford verkaufen, zusammen mit der Leinenschürze, die Susannah waschen und plätten konnte.
    Auf diese Weise grübelte er vor sich hin, und das Schaukeln des Karrens ließ ihn in einen Halbschlaf sinken. Allmählich rutschten ihm die Zügel aus den Fingern, bis er den ersten holperigen Schrei vernahm.
    Er musste eingeschlafen sein und geträumt haben. Hier gab es nichts als den Wind, die erschöpften Fehltritte der Hufe und das Knarzen des Karrens. Aber da war es erneut. Unmissverständlich. Der Schrei eines Babys.
    Hatte er nicht von Anfang an befürchtet, dass etwas nicht stimmte? Hatte Susannah ihn nicht ein ums andere Mal davor gewarnt, jemanden, der nicht an der Pest gestorben war, in die Grube zu werfen? Das Kind war mausetot gewesen – und jetzt war es zurückgekehrt, um ihn heimzusuchen!
    Als der Schrei zu einem kläglichen Wimmern wurde, bekreuzigte Matthew sich voller Entsetzen und trieb die Pferde an, um dem Geist zu entfliehen, von dem er überzeugt war, er würde ihn bis in die Hölle verfolgen. Es war die Hölle, der er als Kind irgendwie entkommen war, aber er wusste, dass er schon immer für sie bestimmt gewesen war. Seine Hölle war keine Feuergrube, sondern eine voller Leichen, die langsam zerfressen, verbrannt und wieder erschaffen wurden, nur um erneut zerfressen und verbrannt zu werden und sich bis in alle Ewigkeit im ätzenden Kalk zu winden.

Teil I
    Half Moon Court
    November 1641  – September 1642
    1. Kapitel
    Das war die Geschichte, die ich schließlich dem Mann entlockte, den ich für meinen Vater hielt, Matthew Neave. Es gab verschiedene Versionen, jede farbenprächtiger als die vorige, und natürlich erzählte er auch, was danach geschah. Aber alles zu seiner Zeit.
    Wir lebten in Poplar, von dem manche Leute sagten, es sei eine Gegend voll Heiden und Barbaren, weil es außerhalb der Mauern Londons lag und wir keine Freien waren. Ich verstand das nicht, denn in Poplar Without, wie es naserümpfend genannt wurde, hatten wir viele Freiheiten. Es gab wenige Gesetze, und einen Constable habe ich dort nie zu Gesicht bekommen. Ich liebte es dort. Benannt nach den hohen wohlgestalteten Pappeln, welche die High Street und die Marsch säumten, war es immer noch zur Hälfte Farmland. Rinder wurden gezüchtet, die nur wenig Fett verloren, wenn sie von den Viehhändlern den kurzen Weg nach Smithfield getrieben wurden. Aber die Bauern wurden zurückgedrängt von der Vielzahl kleiner Häuser, von denen jeden Tag mehr aus dem Boden schossen.
    Diese
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