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Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Peter Ransley
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Häuser waren anders als die hohen Gebäude in der Stadt, die mich mit Ehrfurcht erfüllten, als ich sie zum ersten Mal sah. Die fröhlichen Fachwerkhäuser mit ihren engen Giebelfronten boten einigen der ersten Hugenotten, die aus Frankreich geflohen waren, eine Heimstatt. Diese brachten mir bei, meinen Hut einen »Schapo« zu nennen und den Papst in Frankreich zu verfluchen. Vor allem jedoch waren die Häuser für Werftarbeiter wie Matthew errichtet worden.
    Besucher aus der Stadt nannten die Schiffsbauer einen scheinheiligen Haufen, denn sie seien, so behaupteten sie, ehrlose Gesellen, die nicht der Zunft der Schiffsbauer angehörten und außerhalb der städtischen Gerichtsbarkeit standen. Aber für mich waren sie Zauberer, die große Schiffe in ihren Köpfen herumtrugen. Auf der Werft in Blackwell sah ich, wie diese Visionen zu Schiffsrümpfen wurden, dann zu Gerippen, Bug und Masten wuchsen empor, während ich Eimer voll Pech schleppte oder Matthew eine Krummaxt in die Sägegrube brachte.
    Wenn der Schnee die Hundeinsel bedeckte und das Eis auf der Themse allmählich dicker wurde, war es hier immer noch warm. Mit nackten Füßen und nichts am Leib außer Kniehosen füllte ich die Eimer mit Holz und Kohlen und trug sie zu den Feuern, über denen das Pech gekocht, das Eisen gehämmert und gegossen und der Dampf erzeugt wurde, über dem das Holz gebogen wurde. Wie ein Wunder kam es mir vor, wenn das Holz am Ende genau die Form hatte, die den Zeichnungen des Schiffszimmermanns entsprach.
    Manchmal, wenn ein Schiff fertig werden musste, brannten die Feuer die ganze Nacht über. Kein Wunder, dass es auf die wohlhabenden Stadtleute, welche die Schiffe in Auftrag gaben, wie die Hölle auf Erden wirkte. Und es roch wie die Hölle. Bei Ostwind gesellte sich der Rauch aus den Kalkgruben von Limehouse zu dem der Kohlen, und zusammen ergab es einen beißenden giftigen Odem.
    Wir lebten in Hütten, von denen viele ärmlich waren, aber ich war glücklich. Im Gegensatz zu meinen Kameraden wurde ich nicht geschlagen. Matthew schlug manchmal Susannah, besonders, wenn er seinen Lohn ausbezahlt bekommen hatte und im Black Boy oder dem Green Dragon gewesen war; aber mich schlug er nie. Er schrie mich an und verfluchte mich, und manchmal fuhr seine Hand zum Gürtel oder sammelte einen Scheit Holz auf, aber im letzten Moment hielt er sich zurück, sah mich merkwürdig an und ging murmelnd davon.
    Einmal fragte ich ihn, warum er mich niemals schlug.
    Er lachte, als wollte er nie wieder aufhören. »Wollen der Herr etwa geschlagen werden?«
    »Nein, Vater, aber jeder sonst wird geschlagen.«
    Er versetzte mir eine Kopfnuss und wischte mir die Kappe vom Kopf, aber in dem Schlag lag nicht mehr Kraft als in den Klapsen, die Susannah mir gab.
    »Da«, sagte er. »Ist dem Herrn es so recht?«
    »Nein«, erwiderte ich, »aber das waren auch keine Schläge.«
    Er hörte auf zu lachen. »Du bist ein sonderbares Kind«, sagte er.
    Ich glaubte nicht, dass ich sonderbar war, aber mir stießen merkwürdige Dinge zu. Die meisten Kinder, die ich kannte, hatten nur eine vage Vorstellung davon, wann sie geboren worden oder wie alt sie waren. Es gab einfach zu viele von ihnen. Aber ich wusste, dass ich im Jahr der Krönung von König Charles geboren wurde, gegen Ende September. Ich sage, gegen Ende, denn der Tag schien zu variieren. Doch stets war es kalt geworden, Nebel hing über dem Marschland, und die trockenen Samenschoten der Sumpfpflanzen klapperten im Wind. Mit dem ersten Licht stand ich auf, die Lider noch verklebt, nahm einen Kanten Brot und etwas Käse von Susannah, und sie sagte: »Die Irrlichter waren da, Tom.«
    Dann riss ich die Augen auf, ließ den Brotkanten fallen und rannte zur Vordertür. Auf der Schwelle lag ein Kuchen, mit Zuckerguss und dem Namen TOM in dicken Buchstaben aus gelbem Marzipan darauf. Das Innere war hellgelb und mit Früchten gefüllt, und es war der köstlichste Kuchen, den wir je aßen, wobei ich sagen muss, dass es der einzige Kuchen war, den wir je bekamen. Wir besaßen keinen Ofen, und der Bäcker in der High Street verkaufte nur Brot und Pasteten. Ich suchte im Moor, aber den Ofen der Irrlichter fand ich nie. Matthew warnte mich, sie niemals zu fangen oder sie auch nur anzusehen, oder sie würden mich ebenfalls backen. Und dann würde TOM nicht nur auf dem Kuchen, sondern auch darin sein.
    Aber ich war entschlossen, sie zu fangen, und eines Abends im nebligen September, bei richtigem Irrlicht-Wetter, bettelte
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