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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht mehr, auf den Beinen zu bleiben. Er machte einen ungelenken, stolpernden Schritt, fiel so hart auf das linke Knie, dass ihm ein stechender Schmerz durch das ganze Bein schoss, und musste ein gequältes Wimmern nicht einmal mehr schauspielern. Immerhin ließ ihm der Bursche genug Zeit, sich wieder hochzukämpfen, und auf dem Weg zum Pier stieß er ihm seine Waffe allerhöchstens noch drei-oder viermal in den Rücken. Andrej bewunderte sich schon fast ein bisschen selbst dafür, wie ruhig er diese Willkür hinnahm. Aber das musste ja nicht für alle Zeiten so bleiben. Bis nach Venedig war es noch eine lange Reise, und ganz wie der Matrose gesagt hatte: Unfälle kamen auf See andauernd vor.
    Er bekam einen letzten heftigen Stoß zwischen die Schulterblätter, der ihn mehr in eines der wartenden Boote stürzen als springen ließ, dann wurde er ins Heck geschleift und so hart auf eines der schmalen Sitzbretter gestoßen, dass Blitze vor seinen Augen zuckten. Ganz ohne sein bewusstes Zutun stemmte er sich gegen die Lederriemen, die seine Hände auf dem Rücken zusammenhielten, aber sie waren so geschickt angelegt, dass er seine überlegene Kraft nicht einsetzen konnte.
    Da geschah etwas schon fast Gespenstisches: Der Schmerz und viel mehr noch das Gefühl der Hilflosigkeit machten ihn schier rasend, aber zugleich … genoss er es auch, als wäre es der unheimlichen Macht, die so unerbittlich in ihm erwachte, vollkommen gleich, wessen Qual es war, an der sie sich labte.
    Nur ein Stück neben ihnen erzitterte ein zweites Boot wie unter dem Beinahetreffer einer Kanonenkugel, als weitere Soldaten Abu Dun hineinstießen und ihn mit groben Befehlen anwiesen, im Heck Platz zu nehmen – Befehle, die sie allerdings nur mit hektischem Herumgefuchtel ihrer Musketen und Pistolen unterstrichen, während sie selbst sich hüteten, dem riesigen Nubier zu nahe zu kommen. Nicht, dass es irgendetwas nutzen würde, wenn sich Abu Dun entscheiden sollte, genug von dieser Charade zu haben.
    Erstaunlicherweise war dieser Zeitpunkt aber immer noch nicht gekommen. Abu Dun beließ es dabei, sich so wuchtig zu setzen, dass das Boot um ein Haar gekentert wäre. Einer der Soldaten, die ihm folgen wollten, verlor das Gleichgewicht und fiel nur deshalb nicht ins Wasser, weil er mit Schultern und Gesicht auf dem Steg aufschlug. Andrej bezweifelte allerdings, dass er besonders glücklich über diesen Umstand war.
    Andrej konzentrierte sich wieder auf das Ufer. Hasan und Ali wurden in diesem Moment zu einem weiteren Boot geführt, während die Assassinen noch immer an derselben Stelle festgehalten wurden. Andrej konnte sich des unguten Gefühls nicht erwehren, dass man sie nicht an Bord des Schiffes bringen wollte, sondern etwas ganz anderes mit ihnen vorhatte.
    Er spürte Abu Duns Blick, wandte kurz den Kopf und signalisierte ihm ein angedeutetes Kopfschütteln. Noch nicht. Jetzt irgendetwas zu versuchen käme reinem Selbstmord gleich. Auf der Fahrt nach Venedig würden sich noch genug Gelegenheiten ergeben, Kapitän Danelli zu der Erkenntnis zu verhelfen, dass auch bei der Auswahl von Gefangenen eine gewisse Sorgfalt angebracht war.
    Danelli selbst und zwei seiner Männer eskortierten Hasan zu einem weiteren Boot, das am Ende des Steges festgemacht hatte, noch ein Stück hinter der Pestmond. Die Soldaten hatten das Schiff inzwischen wieder verlassen, und etliche von Corleanis’ Männern kletterten an Bord – vermutlich, um es nach irgendetwas zu durchsuchen, das sie stehlen konnten, falls sie nicht ohnehin vorhatten, das ganze Schiff als Beute zu beanspruchen. Er versuchte Hasans Blick einzufangen, was ihm aber nicht gelang.
    Am anderen Ende des schmalen Piers standen Vater Lucio und Don Corleanis noch immer beisammen. Die beiden Soldaten hatten ihre Plätze inzwischen mit zwei von Corleanis’ Männern getauscht, die es aber augenscheinlich nicht wagten, einen Mann Gottes festzuhalten, und nur mit betretenen Gesichtern dabeistanden. Selbst über die große Entfernung hinweg konnte man ihnen ansehen, dass sie sich lieber woanders aufhalten würden. Andrej war nicht einmal sicher, ob sie eingreifen würden, wenn sich Vater Lucio auf ihren Anführer stürzen würde.
    Allzu weit davon entfernt schien dieser nicht mehr zu sein. Zwar war die Distanz zu groß, um auch nur seine Stimme zu hören, geschweige denn ein einziges Wort zu verstehen, aber dafür war es umso offensichtlicher, wer sich bei diesem Gespräch in der Defensive befand: Lucio
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