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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Autoren: Andreas Eschbach
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mit einer Zange zwischen den Glasröhrchen hantierte, die in der weiß wallenden Kälte darin standen.
    »Sie sind noch da«, erklärte er mit einem kurzen Seitenblick auf Wolfgang, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, dass er hier war. »Es wird nämlich nichts weggeworfen in diesem Geschäft. Jeden verdammten Embryo bewahren wir auf für alle Zeiten.«
    Er hob eines der Glasröhrchen heraus, kontrollierte das Etikett, das daran haftete, und bugsierte es dann in einen neben ihm stehenden tragbaren Kühlbehälter von der Art, wie sie draußen zu Dutzenden im Regal gestanden hatten. »Nicht mal die Zugangscodes haben sich geändert, ist das zu fassen?« Es klapperte gläsern, als das Röhrchen in schwerem weißem Dunst verschwand.
    »Hier drin gibt es mindestens zweihundert Zwillingsbrüder von dir«, meinte Vater mit einer alles umfassenden Geste. Er ließ den Deckel der Kühltruhe mit jenem dumpfen Knall, den Wolfgang vorhin gehört hatte, zufallen. »Mehr als genug, um noch einmal ganz von vorne anzufangen.« Er zog den tragbaren Kühlbehälter zu sich heran und setzte den Verschluss darauf. »Sogar vierzehn davon sind mehr als genug. Aber diesmal gehe ich woanders hin. In den Osten. Vielleicht nach Rumänien. Irgendwohin, wo die Söhne ihren Vätern noch gehorchen.«
     
    Wolfgang stand wie festgewurzelt da, sah den Schwaden kalten Nebels zu, die sich wie müder Dampf über den Fußb o den verteilten. Das muss flüssiger Stickstoff sein, dachte er, als gäbe es nichts Wichtigeres zu denken.
    »Eines Tages werden sie mir dankbar sein. Sie werden es vielleicht nie zugeben, nie darüber reden, aber sie werden mir dankbar sein für das, was ich getan habe.« Vater schraubte den Verschluss sorgfältig zu. »Ich hoffe nur, dass ich es noch erleben werde, wie mein Sohn die Welt mit seiner Musik überraschen wird. Denn der Tag, an dem man sagt, ›was für ein Talent‹, wird der Tag sein, an dem mein Leben einen Sinn gehabt hat.«
     
    Plötzlich hatte er wieder einen Revolver in der Hand, eine Waffe, die hier und jetzt plötzlich irgendwie viel größer und gefährlicher aussah als vorhin.
    »Und du wirst mir dabei helfen.«
    Wolfgang begriff mit dumpfer Verblüffung, dass sein Vater ihn zur Geisel nehmen würde, um sich den Weg durch die Polizeisperren zu bahnen.
    »Ich bin nach Berlin gekommen, um Professor Tessari vorzuspielen«, platzte er heraus, einfach um etwas zu sagen. »Und ich war dort. Ich habe ihm vorgespielt. Aber er sagt, ich habe Johannes' Talent nicht.«
    »Lüge.«
    »Er sagt, ich hätte erstaunlich viel Handwerk erlernt, aber das, was ich spiele, klinge auch so. Wie Handwerk, nicht wie Kunst. Er sagt, ich sei musikalisch nicht einmal sonderlich begabt.«
    »Du lügst.«
    »Nein. Es ist die Wahrheit. Ich habe mich beim Vorspielen angestrengt, weil ich es wirklich wissen wollte. Und ich habe so gut gespielt wie noch nie.«
     
    Sein Vater sah ihn mit einem eigenartigen Ausdruck in den Augen an. »Du hast die gleichen Gene wie Johannes. Du musst sein Talent haben. Du hast doch seine Gene!«
     
    »Vielleicht ist Talent nicht nur eine Frage der Gene.«
    Wie Schatten tauchten sie auf, die Polizisten, dunkle Schemen vor der umfassenden Helligkeit des Kühlraums. Ihre Schritte waren kaum zu hören, das flüsternde Summen der vielen Kühlaggregate überdeckte die Geräusche. Sie hatten Waffen. Waffen, die auf Doktor Richard Wedeberg gerichtet waren.
    Wolfgang sah all das nur aus den Augenwinkeln. Er konnte den Blick nicht von dem Revolver in der Hand seines Vaters wenden, der noch auf den Boden zielte und aussah wie ein schweres Gewicht an dessen rechtem Arm. Der sich jeden Augenblick heben und auf ihn zielen würde.
    »Vater, bitte…«
    Sagte er es wirklich, oder dachte er es nur? Er hätte es nicht sicher sagen können. Ihm war, als könne er nie mehr atmen, müsse für alle Zeiten die Luft anhalten. Er hätte auch nicht sagen können, was er eigentlich wollte. Er wollte nicht sterben, das stand fest. Aber er wollte auch nicht, dass sein Vater starb. Trotz allem.
    »Bitte tu es nicht.«
    Die Waffe fiel zu Boden, klirrte so laut, dass man meinte, ein Stück der Deckenverkleidung sei herabgestürzt. Wolfgang atmete wieder, aber keuchend, voller panischer Angst.
    »Ich habe einmal Karajan gesehen als Kind, habe ich dir das je erzählt?«, fragte sein Vater in eigenartigem Singsang. »Nein, ich glaube nicht. Dabei war das mein großer Traum, die Leidenschaft meiner Jugend. Ab da war es um mich
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