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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Autoren: Andreas Eschbach
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der unbekannte deutsche Wissenschaftler gewesen sein musste.
    »Der springende Punkt war, dass niemand außer mir wusste, dass Vater mit Klonierungstechniken experimentiert hat. Offiziell arbeitete man in dem Institut an Krebstherapien mit genetisch markierten Tumor-Antikörpern. Für die entsprechenden Versuche wurden aber genetisch identische Menschenaffen benötigt, Klone mit anderen Worten. Doch die Tiere waren so teuer, dass man nicht genügend viele Brutmütter hatte, um bei der Erfolgsquote der damaligen Klonierungstechniken eine ausreichende Anzahl geklonter Versuchstiere zu bekommen. Die lag nämlich bloß bei 200 zu 1, was hieß, dass man im Schnitt zweihundert geklonte Embryonen brauchte, um ein lebend geborenes Tier zu erhalten. Dieses Problem war es, das Vater ursprünglich dazu veranlasste, sich mit dem Klonen zu befassen, und er hat wohl tatsächlich ein Verfahren entwickelt, das eine wesentlich höhere Erfolgsrate, nämlich 5 zu 1, hatte – aber er durfte es nicht veröffentlichen, weil der Institutsleiter befürchtete, dass man ihnen Zweckentfremdung von Forschungsmitteln vorwerfen und den Geldhahn zudrehen würde.«
    »Und das hat Vater dir erzählt?«
    »Natürlich nicht. Aber wir wohnten in Berlin in einer Wohnung, in der die Wände Ohren hatten. Ich habe eine Menge Gespräche mitgehört, von denen ich sicher nichts hätte mitkriegen sollen, habe die Fachausdrücke nachgeschlagen, mir ab und zu angeguckt, was für Fachbücher er im Wohnzimmer liegen ließ… So schwierig war das nicht, sich das alles zusammenzureimen, und bei meinen Nachforschungen habe ich später herausgefunden, dass ich ziemlich dicht an der Wahrheit dran gewesen bin.« Er hielt inne, zögerte, und seine Hand wanderte unwillkürlich schützend vor sein Gesicht, ehe er hinzufügte: »Außerdem wird mir bis ans Ende meines Lebens unvergesslich bleiben, wie mein Vater mir dieses Stück Fleisch aus der Wange geschnitten hat. Ich meine, welchen Sinn hätte das gehabt, wenn er nicht in diesem Moment den Plan gefasst hätte, mich zu klonen?«
    Wolfgang ließ sich die Stelle an der Innenseite von Johannes' Wange zeigen, an der immer noch eine kleine Narbe zu sehen war. »Ich bin dir also sozusagen aus dem Gesicht geschnitten«, stellte er mit Schaudern fest.
    »Irre, oder?«, nickte Johannes.
    Er hatte aber auch andere Geschichten zu erzählen, von seinen Abenteuern in den Krisenregionen der Welt, von Begegnungen mit japanischen Gangsterbossen, turkmenischen Drogenschmugglern oder den letzten Indios Brasiliens, von Reportagen über Elendsgebiete, verseuchte Landschaften und Religionskriege. Über solchen Erzählungen vergingen die Abende wie im Flug.
    In diesen Tagen rasierte Johannes den Bart ab, den er, wie er erzählte, bis dahin zeitlebens getragen hatte, vom ersten Moment an, als ihm einer gewachsen war.
    »Ich schätze, das war ein Versteckspiel auf beiden Seiten. Ich hatte immer Angst, ich könnte bei einem Filmbericht versehentlich doch einmal ins Bild kommen und meine Eltern mich erkennen. Deshalb der Bart. Und Vater hat seinerseits dich planmäßig versteckt. Der Umzug in ein winziges Kaff im tiefsten Schwarzwald, die nachträgliche Heirat, sein Berufswechsel und auch, dass er nicht wollte, dass du im Schulorchester spielst oder sonst wie als Cellist in Erscheinung trittst: alles, um dich vor den Leuten zu verstecken, die mich gekannt hatten. Du solltest erst auftauchen, wenn du älter gewesen wärst als ich und man die Ähnlichkeit nicht mehr bemerkt hätte.«
    Svenja fand es überaus interessant, Johannes ohne Bart zu sehen. »Du wirst mit Anfang dreißig genauso aussehen, oder?«, wandte sie sich an Wolfgang.
    »Ich schätze, ja.«
    »Hmm«, machte Svenja. Sie betrachtete den grinsenden Johannes, der es nicht lassen konnte, Fratzen zu schneiden, eine dämlicher als die andere. »Doch, gefällt mir«, meinte sie schließlich. »Wenn ich mir die Gesichtsgymnastik wegdenke, meine ich.«
    Am letzten Abend vor der Rückfahrt nach Deutschland saßen sie abends zusammen, redeten über dies und das, bis Svenja plötzlich von Johannes wissen wollte, ob er seit seinem Verschwinden jemals wieder Cello gespielt habe.
    Er winkte ab. »Nein. Ich glaube, mir wäre regelrecht schlecht geworden beim bloßen Versuch.«
    »Verstehe«, sagte Svenja.
    Eine Pause entstand, einer jener eigentümlichen Momente, von denen man sagt, dass sie entstehen, weil ein Engel durchs Zimmer geht.
    »Willst du es trotzdem mal versuchen?«, fragte Wolfgang
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