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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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Entlausungsstation, was darauf schließen ließ, daß diese Haustierchen immer noch nicht ausgerottet waren.
    Mami versuchte es erst mal in der Apotheke. Der frühere Inhaber war gestorben, der neue kannte uns noch nicht als Dauerkunden für Läusevernichtungsmittel und händigte Mami ohne weiteren Kommentar ein entsprechendes Präparat aus. Das Zeug brannte fürchterlich, durfte aber erst nach drei Stunden herausgewaschen werden. Bereits nach dreißig Minuten erklärte ich heulend, lieber mit den Läusen leben als bei lebendigem Leibe verbrennen zu wollen.
    »Vielleicht hat es schon geholfen«, sagte Mami hoffnungsvoll, als sie mir das Zeug herunterwusch. Es hatte nicht.
    Am nächsten Tag stiefelten wir vollzählig nach Zehlendorf-Mitte zum Entlausen. Ein Mann wollte wissen: »Kopf oder Kleider?« und bequemte sich ob unserer verständnislosen Mienen zu einer klareren Formulierung. »Ha’m Se Kopfläuse oder Kleiderläuse?«
    »Nur auf dem Kopf!«
    »Is ooch besser. Die anderen Biester kriecht man jar nich uff eenmal weg.« Dann griff er zu einer Art Luftpumpe und nebelte unsere Köpfe mit einem weißen Pulver ein. »Det lassen Se jetzt zwee Stunden druff, denn können Se det Zeuch wieda rauswaschen!« Er händigte uns einen datierten und abgestempelten Entlausungsschein aus und schickte uns nach Hause.
    »Reni, du bist völlig ergraut«, feixte Onkel Paul, »man kann sich direkt vorstellen, wie du in dreißig Jahren aussiehst.«
    Mami zückte einen Taschenspiegel und war entsetzt. »So gehe ich keinen Schritt weiter, jeder sieht doch sofort, was mit uns los ist. Verschwinden wir erst mal in der Friedhofstoilette.« Die zweihundert Meter dorthin legten wir im Laufschritt zurück.
    »Und was jetzt?« wollte Tante Else wissen, »ich habe kein Kopftuch mit. Nicht mal einen Schal.«
    »Ich auch nicht. Dann müssen wir eben die Hemden nehmen.«
    Vor dem fleckigen Spiegel versuchten wir, die nun nicht gerade für die Öffentlichkeit bestimmten Kleidungsstücke so um den Kopf zu drapieren, daß man ihren eigentlichen Zweck nicht gleich erkennen konnte. Bei mir war das ziemlich einfach. Ich trug ein Turnhemd und mußte nur die Armlöcher verbergen. Mami bemühte sich, den Spitzeneinsatz zu verstecken, und wenn ihr das endlich gelungen war, hing irgendwo wieder ein Träger herunter. Schließlich band sie sich das Hemd als Kopftuch um und knotete alle verräterischen Details unter dem Kinn zusammen.
    Bei Tante Else waren alle Tarnungsversuche umsonst. Sie trug auch gar kein Hemd, sondern einen Unterrock aus rosa Charmeuse, und was sie damit auch anstellte, war egal, der Unterrock blieb ein Unterrock. Kurzentschlossen zerrte sie sich den zusammengewickelten Turban wieder vom Kopf. »Ich bin sowieso eine alte Frau, warum soll ich keine grauen Haare haben?«
    Onkel Paul unterbrach das Studium der Grabsteine und musterte uns grienend. »Sieht aus wie ein Mittelding zwischen Nachtmütze und Badekappe, aber bis nach Hause wird’s schon gehen.«
    Trotzdem mußte ich voraussprinten und Kopftücher holen, weil Mami sich geweigert hatte, in diesem Aufzug durch die Riemeisterstraße zu laufen. Kurz vor der Haustür kam uns Frau Brüning entgegen. »Na, wart ihr zum Entlausen? Das Zeug hilft übrigens sofort, ich bin meine auch gleich beim erstenmal losgeworden!«
38
    Wieder einmal saß ich in meinem Zimmer und versuchte, in den vor mir liegenden französischen Text irgendeinen Sinn zu kriegen. Tante Else hatte mich gerade bei Guber abgelöst, weil wir mal wieder nach einer Sonderzuteilung Gemüse anstehen mußten, und ich wenigstens einen Teil meiner Hausaufgaben noch bei Tageslicht erledigen sollte.
    Es klingelte. Ich erwartete Gina und öffnete die Tür mit den Worten: »Wird auch Zeit, daß du endlich kommst, ich hänge …« Vor mir stand ein Herr, den ich bestimmt schon mal gesehen hatte, im Augenblick aber nicht unterzubringen vermochte. Er war gut gekleidet – immerhin eine Seltenheit – gut ernährt, eine noch viel größere Seltenheit, und er zwinkerte mir zu, was ich von Herrn in gesetztem Alter überhaupt nicht gewöhnt war.
    »Ja, bitte?«
    »Es fehlte gerade noch, daß mich jetzt nicht einmal mehr meine eigene Tochter erkennt!«
    »Vati??«
    Nein, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Mein Vater hatte uns zwar seine baldige Rückkehr in Aussicht gestellt; aber das war schon vor Weihnachten gewesen, und Näheres wußte er damals wohl selbst noch nicht. Ich jedenfalls hatte einen verhärmten, abgerissenen
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