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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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problematisch macht.
    Außerdem hatte Mami beschlossen, einen generellen Schlußstrich zu ziehen und ganz neu anzufangen. »Würde es dir sehr schwerfallen, von Berlin wegzugehen?«
    »Wohin denn?«
    »Nach Düsseldorf. PW hat mir doch angeboten, daß ich jederzeit bei ihm in der Firma arbeiten kann. Eine Wohnung hat er auch schon an der Hand, sie wird in Kürze fertig. Tante Käte schreibt dauernd, wir sollen kommen, und wenn ich ganz ehrlich bin, so hängt mir dieser Porzellanladen schon lange zum Halse heraus. Ich möchte nicht für den Rest meines Lebens Kaffeetassen verwalten.«
    Das war verständlich. Ich sah ein, daß ich wohl langsam von meiner Kindheit Abschied nehmen mußte, und da war es sicher am besten, wenn das möglichst gründlich geschah. Ohnehin war nichts mehr so, wie es früher einmal gewesen war. Es wurde gemunkelt, daß der Wald gegenüber parallel zum Hegewinkel abgeholzt und bebaut werden sollte. In Zilligs Wohnung waren Mieter eingezogen, die ich nicht leiden konnte. Außerdem hieß es, Moldens würden nun auch weggehen. Es blieb ja kaum noch jemand übrig, den ich kannte. Maugi hatte schon eine feste Freundin, Lothchen würde in wenigen Monaten aus der Schule kommen und seine Ausbildung als Werbegrafiker beginnen – allmählich würden sich unsere Wege sowieso trennen.
    Der Abschied von meiner Klasse fiel mir allerdings schwer. Irene begriff das nicht. »Mensch, ich wäre froh, wenn ich auch hinauskönnte. Denen im Westen geht es doch viel besser.« PW behauptete das gleiche. Jedesmal, wenn er in Berlin zu tun hatte, kam er bei uns vorbei und sang Loblieder. »Natürlich gibt es auch noch Lebensmittelkarten, aber man kommt leichter an alles andere heran, weil man dort nicht so eingeigelt ist wie hier. In Kürze sieht sowieso alles ganz anders aus, die Währungsreform steht unmittelbar vor der Tür (woher wußte dieser Mensch das überhaupt?). Wenn ihr also nach Düsseldorf kommen wollt, dann beeilt euch. Später könnt ihr die Umzugskosten gar nicht mehr bezahlen!«
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    Nun ging alles ziemlich schnell. PW organisierte noch einmal einen Umzug – die Beziehungen stammten noch vom letztenmal, und Übung hatte er inzwischen auch schon –, und dann schaffte er es auch noch, den zuständigen Wohnungsbeamten davon zu überzeugen, daß Onkel Paul und Tante Else die geeigneten Nachmieter wären. Aus der provisorischen Bleibe würde für sie nun eine feste Heimat werden.
    »Die zwei Flaschen Schnaps hole ich mir aber bei Gelegenheit von euch zurück!« versprach PW, als der neue Mietvertrag unterschrieben war.
    Bis zum Ende des Schuljahres sollte ich noch in Berlin bleiben, womit ich völlig einverstanden war. Weniger erfreulich fand ich die Aussicht, diese Zeit bei Omi verbringen zu müssen. Ich wäre lieber bei Tante Else geblieben; aber Omi sah jetzt die letzte Gelegenheit, meine ›direkt skandalösem Leistungen in der Schule noch etwas zu verbessern. Von Mathematik hatte sie allerdings noch weniger Ahnung als ich; und so wurde Opi beauftragt, meine Hausaufgaben in diesem Fach zu überwachen. Geometrie konnte er aber auch nicht, und Algebra hatten wir zur Zeit gar nicht. Ich bekam also wieder eine Vier ins Zeugnis.
    Im Englischen stand ich ganz gut, Deutsch war auch kein Problem, also stürzte sich Omi mit Feuereifer auf die Nebenfächer. Am Küchenschrank hing mein Stundenplan, und anhand dessen wurde jeden Abend kontrolliert, ob ich auch alles Notwendige gelernt hatte. Bald war Omi über den Reisanbau in Indien und über die Monsunwinde besser informiert als ich, ganz zu schweigen von den Nebenflüssen des Brahmaputra, die ich nie so schnell herunterrasseln konnte wie sie. Chemische Formeln waren ihr weniger geläufig, deshalb mußte ich sie immer aufschreiben, damit Omi sie mit dem Lehrbuch vergleichen konnte. Letzten Endes hat sich diese Prozedur aber doch als nützlich erwiesen, denn allmählich begriff ich diese Formeln tatsächlich. Früher hatte ich immer hilflos an der Tafel gestanden und mit den zugeflüsterten Informationen nichts anfangen können, weil ich nie wußte, ob die zu den Buchstaben gehörigen Zahlen nun oben oder unten hingeschrieben werden mußten.
    Etwa sechs Wochen vor Beginn der Sommerferien kündigte Quasi eine Klassenarbeit an. Dauer: Fünf Stunden. Thema: unbekannt. Da es sich um eine Arbeit handelte, die maßgebend für die Versetzungszeugnisse sein würde, klemmten wir uns hinter die Bücher und paukten die ›Jung- frau‹ durch. Wir befaßten uns schon seit
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