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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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Kriegsgefangenen erwartet, der in seiner verschlissenen Uniform müde die Straße entlangtrottete, ein Anblick, mit dem man beinahe täglich konfrontiert wurde. Keinesfalls hatte ich mit dem braungebrannten Zivilisten gerechnet, den ich jetzt etwas zögernd in die Wohnung bat. Mir war oft genug eingebleut worden, keinen Fremden hereinzulassen, schon gar nicht, wenn ich ganz allein zu Hause war.
    Der Herr lächelte ein bißchen wehmütig. »Du traust mir wohl noch immer nicht über den Weg?« Bereitwillig zückte er seine Brieftasche und hielt mir ein Foto unter die Nase. »Kennst du das?«
    Das Bild war zwei Jahre alt und zeigte mich mit dem Kaninchen Kasimir. Jetzt war ich endlich überzeugt.
    »Aber wieso bist du so anständig angezogen? Die anderen Heimkehrer kommen doch immer in ihren ollen Uniformen zurück.«
    »Bin ich ja auch, aber ich war zuerst in Schmargendorf und habe mich ein bißchen restauriert.«
    Deshalb also! Bei Omimi und Opa hing ja Vatis gesamte Garderobe; und es war verständlich, daß er erst einmal dorthin gefahren war. Jetzt saß ich also vor einem fremden Mann, den ich vor fünf Jahren zum letztenmal und damals auch nur für wenige Stunden gesehen hatte. Ich fühlte mich ziemlich unbehaglich. Wir unterhielten uns über Belanglosigkeiten, und ich war heilfroh, als Tante Else endlich mit ihren Kohlköpfen zurückkam. Sie erkannte Vati sofort. »Du liebe Zeit, Heinz, bist du aber groß geworden! Ich will natürlich sagen, du hast dich ziemlich verändert.«
    Meine Mutter begegnete ihrem heimgekehrten Ehemann mit ähnlich zwiespältigen Gefühlen wie ich. Da gab es plötzlich wieder jemanden, den es neun Jahre lang nicht gegeben hatte, der nicht wußte, was alles hinter uns lag, der keine Ahnung von den derzeitigen Verhältnissen hatte und nicht im geringsten ahnte, wie es weitergehen sollte. Schließlich waren ihm jahrelang alle Entscheidungen abgenommen und in Befehle umgemünzt worden.
    Aus der unselbständigen jungen Ehefrau, die er seinerzeit zurückgelassen hatte, war dagegen eine selbstsichere, emanzipierte Mittdreißigerin geworden, von der die ganze Familie mehr oder weniger abhängig war. Es hatte also ein völliger Rollenwechsel stattgefunden – ein Problem, vor das sich damals viele Heimkehrer gestellt sahen.
    Vati beschloß, zunächst einmal bei seinen Eltern Quartier zu nehmen, denn dort gab es mehr Platz. Man hatte ihnen zwar auch ein Flüchtlings-Ehepaar zugewiesen, außerdem wohnte jetzt noch Omimis Schwester dort, die aus Posen geflohen war; aber dafür war die Wohnung meiner Großeltern auch doppelt so groß wie unsere. Opa setzte seinen Einfluß zum ersten (und einzigen) Mal in völlig eigennütziger Weise ein und verschaffte seinem Sohn eine Anstellung beim Berliner Senat, insgeheim befriedigt, daß nun doch ein Beamter aus ihm werden würde. Vati besuchte uns regelmäßig, dann weniger regelmäßig; und eines Tages rief mich Mami in ihr Zimmer, weil sie einmal ernsthaft mit mir sprechen wollte.
    Derartigen Unterredungen sah ich immer mit reichlich gemischten Gefühlen entgegen, weil ich meist ein schlechtes Gewissen hatte. Obwohl inzwischen fast vierzehn und gelegentlich schon einigermaßen vernünftig, benahm ich mich absolut nicht immer so, wie man es gemeinhin in diesem fortgeschrittenen Alter erwarten kann. So hatte ich erst vor einigen Tagen zusammen mit Klaus und Mümmchen abgebrannte Streichhölzer in die Klingelknöpfe gesteckt und dann vom Fenster aus beobachtet, was sich in der Nachbarschaft abspielte, als um neunzehn Uhr der Strom wieder eingeschaltet wurde!
    Dieses Thema brachte Mami jedoch nicht zur Sprache. Sie eröffnete mir vielmehr, daß sie und Vati übereingekommen wären, sich zu trennen. »Du wirst das vermutlich noch nicht verstehen; aber wir haben uns ganz einfach auseinandergelebt. Man kann vielleicht den Krieg dafür verantwortlich machen oder diese ganze blödsinnige Zeit. Aber der wahre Grund ist wohl, daß wir damals einfach zu jung geheiratet haben.«
    Das leuchtete mir alles ein. Und weil ich mehr oder weniger ohne Vater aufgewachsen war, empfand ich die Scheidung meiner Eltern auch nicht als Schock, sondern eher als Wiederherstellung der mir vertrauten Verhältnisse. Außerdem erlebte ich beinahe täglich, wie überall Ehen in die Brüche gingen, manche sogar nach über zwanzig Jahren. Meine Eltern blieben jedoch immer freundschaftlich verbunden; und deshalb gab es auch nie irgendwelche Streitigkeiten, die eine Ehescheidung für Kinder so
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