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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn
Autoren: Boris Akunin
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spürte eine gewisse engelsgleiche Schwingung in der Luft. Ihr Blick war schwärmerisch verträumt, ihre rosigen Lippen öffneten sich mal weit und rund, mal schlossen sie sich zu einem allerliebsten spitzen Schnütchen.
    Pfannkuchen war vollkommen hingerissen. Was für ein paradiesisches Bild. Solche herzerquickenden Wesen würde er niemals beklauen.
    Jetzt sagte der Sohn etwas zum Vater und stand auf. Er gab seinem Papachen einen Kuss – aber wie! Direkt auf den Mund, ganz zärtlich. Dann nahm er seine Schirmmütze und trat auf den Gang hinaus. Wahrscheinlich wollte er einen kleinen Spaziergang machen, ein wenig Luft schnappen. Papa schickte ihm noch einen Handkuss nach.
    Pfannkuchen war gerührt. Und was für ein imposanter Mann! In seiner Amtsstube oder im Kontor zittern seine Untergebenen vor ihm, aber zu Hause, im Kreise seiner Lieben, da ist er der reinste Engel.
    Pfannkuchen entfuhr ein schwerer Seufzer, weil doch sein Leben so einsam war. Aber wie soll denn ein Rasin auch eine Familie gründen?
    Doch das nächste Fenster war schon das richtige. Pfannkuchen hatte mal wieder Glück. Hier brauchte er auch nicht auf einen Stuhl zu klettern, die Vorhänge waren nicht ganz zugezogen. Pfannkuchen linste vorsichtig durch den Spalt und erblickte einen mageren, dunkelblonden, bärtigen Mann, der auf einem Samtdiwan lag. Das ist mir ja ein schöner Prophet, dachte Pfannkuchen, seine Schäfchen müssen an Deck sitzen, und er selber aalt sich in der ersten Klasse und lässt sich’s gut gehen. Da liegt er und schläft süß wie ein Säugling, sogar ein wenig Speichel rinnt ihm aus dem Mund.
    Und was leuchtet da so verlockend unter dem Kissen hervor? Das wird doch nicht etwa eine Lackschatulle sein?
    Schlaf, mein Guter, schlaf! Nur bitte möglichst fest!
    Pfannkuchen war ganz hibbelig vor Ungeduld, doch ermahnte er sich streng, seinen Hintern still zu halten. Das war ein saftiger Brocken, den er da am Haken hatte, da hieß es: nur nichts übereilen.
    Also, wie stellte er ’s am besten an? Vom Gang aus? Das Türschloss knacken?
    Nein, nachher sieht das einer. Von hier aus ist es einfacher. Der alte Kumpel Nebel steht Schmiere.
    Das Fenster ist zwar zu, aber das ist natürlich ein Klacks. Für solche Fälle hat jeder Rasin seine »Zwacke«, ein spezielles, äußerst praktisches Werkzeug, mit dem man in null Komma nichts die Schrauben aus dem Rahmen raus hat. (Bloß das Ölkännchen nicht vergessen, damit sie nicht quietschen.) Rrruck links, rrruck rechts, und das war ’s schon fast. Jetzt noch mal großzügig Öl von der Seite in die Nuten. Und dann laaaang-sam, langsam rausziehen.
    Lautlos schob sich das Fenster nach oben, so wie sich’s gehört.
    Der Rest war einfach: Reinkriechen, auf den Zehenspitzen zum Diwan, die Schatulle unter dem Kissen hervorziehen und Stattdessen ein zusammengerolltes Handtuch drunterstecken. Dabei muss man ganz genau auf den Atem des Schläfers Acht geben, falls er plötzlich aufwacht. Der Atem warnt einen immer. Und auf keinen Fall darf man dem Schläfer ins Gesicht gucken, es gibt Leute, die merken es sofort, wenn man sie im Schlaf ansieht.
    Pfannkuchen machte sich ganz schmal und wollte gerade durch das Fenster kriechen – den Kopf hatte er schon fast drinnen –, als plötzlich ganz dicht neben ihm irgendetwas quietschte, und dann sagte eine Frauenstimme laut und zornig:
    »Hören Sie auf damit!«
    Pfannkuchen sank das Herz in die Hose: Verdammt, erwischt!
    Er zog den Kopf zurück, drehte sich um – und seufzte erleichtert.
    In der Nachbarkabine war ein Fenster geöffnet worden. Wahrscheinlich war es denen da drinnen zu stickig geworden.
    Dieselbe Stimme setzte ärgerlich fort:
    »Jawohl, schnappen Sie ruhig etwas frische Luft, Eminenz! Gott weiß, was Sie sich da wieder ausgedacht haben! Lassen Sie mir wenigstens meine Sünden!«
    »Das ist meine Sünde, ganz allein meine!«, antwortete ein tiefer Bass, der ebenfalls sehr ärgerlich klang. »Ich habe es zugelassen, ich habe dir Gehorsam auferlegt, also werde ich auch dafür einstehen! Aber nicht vor dem Petersburger Staatsanwalt, sondern vor Gott dem Herrn!«
    Ei verflixt, das passt mir überhaupt nicht. Die wecken mir noch den Propheten auf, diese Schreihälse.
    Pfannkuchen kroch zu dem geöffneten Fenster und linste hinein, ganz vorsichtig, nur mit einem Auge.
    Zuerst sah er zwei Personen, einen grauhaarigen geistlichen Würdenträger, der ein reich verziertes Kreuz auf der Brust trug, und eine Nonne. Aber dann bemerkte er noch eine
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