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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn
Autoren: Boris Akunin
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dritte Person, offenbar ebenfalls ein Geistlicher, der ganz still in einer Ecke saß und keinen Mucks von sich gab.
    Was macht ihr bloß für ein Geschrei, ihr Gottesleute? Das gehört sich doch nicht für Christenmenschen, wo ist denn da die Demut? Ihr weckt ja alle Passagiere auf.
    Als hätte sie Pfannkuchens Flehen gehört, seufzte die Nonne und blickte zu Boden.
    »Eminenz, ich schwöre es: Ich werde mich nie mehr in Versuchung führen lassen, und ich werde auch Sie nicht mehr in Versuchung führen. Aber bitte hören Sie auf, sich Vorwürfe zu machen.«
    Der Geistliche zog die Augenbrauen hoch (die eine halb ergraut, die andere noch fast schwarz) und strich der Ordensfrau mit der Hand über den Kopf.
    »Schon gut, Pelagia, Gott ist gnädig. Vielleicht können wir die Sache noch einmal einrenken. Und für unsere Sünden tun wir gemeinsam Buße.«
    Ein eindrucksvolles Paar. Pfannkuchen hatte ihnen auch schon Spitznamen gegeben: Schwester Fuchs (wegen der roten Haarsträhne, die da unter ihrer Haube hervorlugte) und Ataman Kudejar (dieser Pope sah für einen gütigen Seelenhirten einfach viel zu kriegerisch aus), wie in dem Lied:
    Floh Kudejar die Seinen
und ließ das Rauben sein,
dient‘ Gott anstatt den Heiden
und trat ins Kloster ein.
    Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Pfannkuchen sicher mit großem Interesse gehört, welche Art Sünden zwischen dem Bischof und der Nonne vorgefallen waren, aber jetzt hatte er anderes im Kopf. Sie haben sich vertragen und aufgehört zu schreien, ich danke Dir, Herrgott.
    Er kroch wieder zum Fenster des Propheten.
    Griff nach dem Fensterrahmen und zog sich daran hoch.
    Er schnarcht, der Gute, so ist’s brav.
    Im letzten Moment hörte Pfannkuchen das Rascheln hinter sich, doch da war schon nichts mehr zu machen. Er wollte sich noch umdrehen, aber zu spät.
    Irgendetwas krachte und zerbarst direkt in Pfannkuchens Kopf, und dann gab es für ihn keinen Frühlingsabend mehr und auch nicht den Nebel über dem Fluss – es gab gar nichts mehr.
    Zwei kräftige Hände packten den erschlafften Körper an den Füßen und schleiften ihn über das Deck zur Reling – rasch, damit es keine Blutspuren gab. Der Beutesack verfing sich an einem Tischbein – ein Ruck – die Schnur zerriss, und die Bewegung setzte sich fort.
    Dann flog Pfannkuchen durch die Luft, schickte zum Abschied eine dicke Wasserfontäne in Gottes Welt und vereinigte sich mit dem mütterlichen Fluss.
    Sie schloss den verlorenen Sohn in ihre zärtlichen Arme, schaukelte ihn ein wenig, wiegte ihn sanft in den Schlaf und legte ihn dann ganz, ganz tief in das hinterste, dunkelste Schlafzimmer auf ein weiches Bett aus Schlamm.
    Hauptstädtische Kalamitäten
    »Es ist trotzdem höchst verwunderlich, wie Konstantin Petrowitsch davon erfahren hat«, sagte Bischof Mitrofani zum wer weiß wievielten Male und warf einen zerstreuten Blick in Richtung des dumpfen Lärms, der draußen zu hören war – es klang, als hätte jemand einen Ballen Stoff oder ein Stück Leinwand aufs Deck fallen lassen. »Aber man sagt ja: Wer hoch sitzt, sieht weit – wie wahr das doch ist.«
    »Das gehört nun mal zu den Amtspflichten Seiner Hochwürdigen Exzellenz«, warf Vater Serafim Usserdow von seiner Ecke aus ein.
    Das Gespräch zwischen dem Bischof, seiner geistlichen Tochter Pelagia und dem bischöflichen Sekretär währte jetzt schon drei Tage. Begonnen hatte es in Petersburg, nach einer unangenehmen Unterredung mit dem Oberprokuror des Heiligen Synods, Konstantin Petrowitsch Pobedin. Während der ganzen Dauer der Reise – im Zug nach Moskau, im Hotel und jetzt auf dem Dampfer, der den Bischof des Gouvernements und seine Begleiter in ihre Heimatstadt Sawolshsk zurückbringen sollte – hatten sie über nichts anderes gesprochen.
    Der Konflikt zwischen dem Bischof und dem Oberprokuror war schon sehr alt, aber bisher war es noch nie zu einer direkten Konfrontation gekommen. Konstantin Petrowitsch hatte Mitrofani sozusagen ins Visier genommen und maß sich an seinem ehrwürdigen Opponenten, dessen Stärke und Überzeugung er respektierte, da er selbst ein Mann der Stärke war und ebenfalls für seine Überzeugung einstand.
    Jedoch war nicht zu übersehen, dass früher oder später diese beiden Überzeugungen einander in die Quere geraten würden, da sie einfach zu verschieden waren.
    Mitrofani war auf das Schlimmste gefasst gewesen, als er in die Hauptstadt vor den gestrengen Oberprokuror beordert worden war, auf jede nur denkbare Schikane, aber von
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