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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn
Autoren: Boris Akunin
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der Seite, von der der Schlag dann käm, hatte er ihn nicht erwartet.
    Konstantin Petrowitsch eröffnete das Gespräch auf seine übliche Art, ganz leise, gewissermaßen wie auf Samtpfötchen. Er sprach dem Sawolshsker ein Lob für sein gutes Verhältnis zur weltlichen Macht aus und insbesondere für die Tatsache, dass auch der Gouverneur den Rat des Bischofs suchte und bei ihm die Beichte ablegte. »Ein Beispiel für die Untrennbarkeit von Staat und Kirche, welche das einzig tragfähige Fundament ist, auf dem das Gebäude des gesellschaftlichen Lebens stehen kann«, hatte Pobedin gesagt und seinen Zeigefinger erhoben, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen.
    Dann folgte eine milde Rüge ob der Nachgiebigkeit und mangelnden Durchsetzungskraft gegenüber den Angehörigen anderer slawischer Völker und den Andersgläubigen, deren es in Sawolshsk jede Menge gab: die protestantischen Siedler, die vormals verbannten polnischen Katholiken, dann Muselmanen und schließlich sogar Heiden.
    Seine Exzellenz hatte eine ganz besondere Manier zu reden, so als läse er einen Vortrag vom Blatt ab. Er sprach glatt und fließend, aber irgendwie spröde und sehr ermüdend für seine Zuhörer. »In der Staatskirche sehen wir ein System vor uns, bei dem die weltliche Macht nur eine einzige Konfession als die wahre anerkennt und demzufolge auch nur diese eine Kirche schützt und protegiert, was unvermeidlich eine, unter Umständen recht erhebliche, Schmälerung von Ansehen, Recht und Privilegien anderer Kirchen nach sich zieht«, dozierte Konstantin Petrowitsch. »Anders jedoch verlöre der Staat seine geistliche Einheit mit dem Volk, dessen überwiegende Mehrheit dem orthodoxen Glauben angehört. Ein Staat ohne rechten Glauben ist nichts anderes als eine Utopie, ein Hirngespinst, denn der Unglaube ist eine direkte Negation des Staates. Wie denn sollen die orthodoxen Massen der staatlichen Macht Vertrauen entgegenbringen, wenn Volk und Macht unterschiedlichen Glauben haben oder wenn die Macht überhaupt keinen Glauben besitzt?«
    Mitrofani erduldete den Vortrag, solange er konnte (das heißt, nicht sehr lange, denn Geduld gehörte nicht zu den hervorstechenden Tugenden des Bischofs), aber schließlich hielt er es nicht mehr aus und fiel dem hoch gestellten Redner ins Wort: »Konstantin Petrowitsch, ich bin vollkommen davon überzeugt, dass der orthodoxe Glaube der einzig wahre ist und der barmherzigste, den es geben kann; und diese Überzeugung gründet sich keineswegs nur auf Erwägungen der Staatsräson, sondern sie fußt auf einer tiefen seelischen Empfindung. Jedoch erachte ich es, wie Eurer Exzellenz aus unseren früheren Gesprächen bekannt sein dürfte, für äußerst verderblich, wenn nicht gar für frevelhaft, Andersgläubige gewaltsam zu unserer Religion zu bekehren.«
    Pobedin nickte – aber durchaus nicht zustimmend, sondern als habe er von dem Bischof gar nichts anderes als vorlautes Verhalten und Widerspenstigkeit erwartet.
    »O ja, mir ist in der Tat bekannt, dass man in Ihrer Sawolshsker . . . Fraktion« – Pobedin verstand es, dieses unerfreuliche, mehr noch, dieses geradezu fatale Wort durch eine aufreizende Intonation noch hervorzuheben – ein erklärter Gegner jeglicher Gewalt ist.«
    An dieser Stelle legte der Oberprokuror eine beredte Pause ein und brachte dann den vernichtenden, ohne jeden Zweifel gewissenhaft vorbereiteten Schlag an:
    »Jeglicher Gewalt und – jedes Verbrechens – dieselbe aufreizende Intonation. »Gleichwohl muss ich gestehen, dass das Maß Ihres Eifers bei der Bekämpfung des Letzteren meine Vorstellungskraft bei weitem überschreitet.« Pobedin wartete, bis diese befremdlichen Worte auf Mitrofanis Gesicht einen Ausdruck der Wachsamkeit erzeugt hatten, und fragte dann mit bedrohlich sanfter Stimme: »Für wen halten Sie sich eigentlich, Eminenz? Für so eine Art neuen Vidocq? Oder vielleicht für Sherlock Holmes?«
    Schwester Pelagia, die bei dem Gespräch zugegen war, wurde an dieser Stelle merklich blasser und konnte sogar einen leisen Aufschrei nicht unterdrücken. Jetzt verstand sie, warum der Bischof sie, eine einfache Nonne, zu dieser Audienz hatte mitbringen sollen.
    Der nächste Satz des Oberprokurors bestätigte ihre ungute Vermutung:
    »Ich habe Sie nicht zufällig darum gebeten, sich zusammen mit der Leiterin Ihrer glorreichen Klosterschule bei mir einzufinden. Sie haben vermutlich angenommen, Schwester, es würde bei dieser Zusammenkunft um Bildungsfragen gehen?«
    Das
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