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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn
Autoren: Boris Akunin
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schmale, feine, mit ganz heller Haut und riesigen Augen; aber warum das dumme Ding die Haare kurz geschnitten trug wie ein Junge, das war Pfannkuchen vollkommen schleierhaft. Dabei waren die Haare einfach Extraklasse, voll und mit einem goldenen Schimmer.
    Die Zweite war klein und rundlich, und angezogen war sie – zum Totlachen: auf dem Kopf eine weiße Stoffkappe mit schmalem Rand und statt eines Rockes kurze grüne Hosen, sc dass man ihre ganzen Beine sah. Dazu an den Füßen kurze weiße Wickelstrümpfe und schauderhafte Latschen mit Lederriemchen.
    Pfannkuchen machte Kulleraugen. Unglaublich, man konnte wirklich alles sehen, die Knöchel und die dicken Waden, die von der Kälte voller Gänsehaut waren.
    Aber die Beine interessierten ihn nur am Rande. Viel interessanter war die Frage, was das überhaupt für Leute waren und wo sie hinfuhren und warum? Und was war ein Rabberboll?
    Dieses komische Wort hatte der mit dem Bart benutzt. Der andere, der das Gedicht vorgelesen hatte, lachte jetzt und fing an, mit einer Hand Knautschbewegungen zu machen. Pfannkuchen kniff die Augen zusammen: Der Bursche hatte einen komischen schwarzen Ball zwischen den Fingern, den drückte und presste er wie ein Irrer. Wozu sollte das denn wieder gut sein?
    »Ist dir kalt, Malke?«, sagte der mit dem Bart zu dem Pummelchen. Er hatte wohl auch ihre Gänsehaut gesehen. »Na, macht nichts, diese Reise wird dir noch mal Vorkommen wie das Paradies. Es ist kühl, und du hast Wasser, so viel du willst. Wozu habe ich wohl in Nischni Nowgorod extra eine Versammlung angesetzt? Damit wir uns von Russland verabschieden. Schaut euch noch mal um, sag ich, atmet tief durch, bald ist es damit vorbei. Ihr wisst nicht, was wirkliche Hitze ist. Aber ich weiß es. Einmal lagen wir in Port Said, die Außenhaut von unserem Kahn musste geflickt werden. Da habe ich mir vom Käpt’n eine Woche freigeben lassen, ich wollte mich mal ein bisschen in der Wüste umschauen.«
    »Und hast du dich umgeschaut?«, fragte das zarte Fräulein.
    »O ja, Rahel, das hab ich allerdings«, grinste der mit dem Bart. »Und obwohl ich nicht so eine feine weiße Haut habe wie du, war mein Gesicht am Abend eine einzige Brandblase. Meine Lippen waren aufgesprungen und bluteten, meine Kehle brannte, als hätte mir jemand eine Feile durchgezogen. Aber man darf kein Wasser trinken, man muss Salz lecken.«
    »Warum denn Salz, Magellan?«, fragte einer der Jungen verwundert.
    »Wenn du schwitzt, verliert der Körper Salz, und das ist schlimmer als Wasserverlust, davon kannst du verrecken. Also: Ich schwitze, lecke Salz und reite weiter. Ich hatte mir fest vorgenommen: Du machst die zweihundert Werst bis Gaza, bleibst einen Tag dort, und dann zurück.« Magellan stieß einen dicken Schwall Rauch aus. »Aber ich bin nicht bis Gaza gekommen, weil ich mich verlaufen habe. Ich hatte keinen Kompass mitgenommen und mich auf die Sonne verlassen, ich elender Trottel. Am dritten Tag fing die Wüste an zu schwanken und zu schlingern wie ein Schiff auf hoher See, immer rechts, links, rechts, links. Und dann sah ich in der Ferne erst ein Birkenwäldchen und dann einen See. Oha, dachte ich, jetzt hast du dir schon eine Fata Morgana ausgeschwitzt. Und am Abend, als die Wanderdünen ganz lange Schatten warfen, kam plötzlich über den Kamm von so einer Düne eine Horde Beduinen herangestürmt. Zuerst dachte ich, das ist schon wieder eine Fata Morgana. Stellt euch vor, da kommen so dreieckige Schatten mit überirdischer Geschwindigkeit auf mich zugerast und werden immer größer und größer. Auf ihren Kamelen, wisst ihr, im Galopp. Dabei war alles vollkommen still, nicht ein Geräusch, nur der Sand rieselte ganz, ganz leise. Man hatte mich ja vor Räubern gewarnt, und ich hatte auch eine Winchester dabei und einen Revolver. Aber ich Hornochse sitze wie versteinert im Sattel und gucke zu, wie der Tod auf mich zugerast kommt. Ein prachtvoller Anblick, wirklich, man kann sich gar nicht davon losreißen. Wisst ihr, was in der Wüste am gefährlichsten ist? Die Hitze und die Sonne lassen den Selbsterhaltungstrieb erlahmen, das ist das Gefährlichste.«
    Alle hörten mit angehaltenem Atem zu. Auch Pfannkuchen fand es sehr interessant, aber schließlich durfte man darüber seine Arbeit nicht vergessen. Bei Malke – der mit dem dicken Hintern – lugte das Portemonnaie aus der Tasche ihrer ulkigen Hose heraus. Sehr verlockend. Pfannkuchen hatte es schon halb herausgezuppelt, aber dann schob er es wieder
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