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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn
Autoren: Boris Akunin
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sei Lob und Dank, bislang weder »Leibgardisten« noch Pogrome gegeben.
    Während die Juden immer noch krakeelten und krawallierten, krempelte Pfannkuchen ihnen einem nach dem anderen die Taschen um. Aber alles, was er an Beute zutage förderte, war ein Fünf – und ein Zwanzigkopekenstück.
    Der jüdische Pope hörte sich das Gezeter eine ganze Weile ruhig an, aber plötzlich stampfte er mit dem Fuß auf und donnerte:
    »Ruhe!«
    Sofort war alles mucksmäuschenstill. Der hünenhafte Alte riss sich die Brille von der Nase und steckte sie in seine Rocktasche (wobei die Fassung verräterisch glänzte – das war doch nicht etwa Gold?), dann zog er aus der anderen Tasche ein dickleibiges, in Leder gebundenes Buch hervor. Er schlug es auf und hub mit strenger Stimme an, daraus vorzutragen, zuerst in ihrer Sprache, aber danach noch mal auf Russisch, anscheinend gab es hier Juden, die ihre eigene Mundart nicht ausreichend verstanden.
    »Und der Herr sprach zu Moses: ›Wie lange noch soll es mit dieser bösartigen Gemeinde dauern, dass sie wider mich murren? Das Murren der Israeliten wider mich habe ich gehört. Sage zu ihnen: So wahr ich lebe, spricht der Herr, keiner von euch, die ihr wider mich gemurrt habt, soll in das Land kommen, das ich euch als Wohnsitz versprochen habe.‹ Habt ihr gehört, wie der Herr zu Moses sprach, ihr Kleingläubigen?«
    Wie er so dastand, mit seinem weißen Wallebart und dem erhobenen Zeigefinger, sah er selber aus wie der Moses auf dem Bild, das Pfannkuchen einmal in der Bibel gesehen hatte.
    Alle neigten ihre Köpfe – Pfannkuchen mit ihnen. Gleichzeitig aber schob sich seine Hand zwischen den beiden unmittelbar vor ihm stehenden Burschen hindurch. Mit dieser Hand hatte es eine besondere Bewandtnis; sie ließ sich nämlich nach Belieben in jede Richtung drehen und biegen und erforderlichenfalls auch auf vollkommen menschenunmögliche Weise verlängern, als hätte sie gar keine Knochen drin. Sie war so eine Art knorpelgelagerter Greifbagger. Diese vorzügliche Hand also war jetzt bei der Tasche des Rabbis angekommen; der kleine Finger angelte die Brille heraus, Pfannkuchen hockte sich flugs nieder und dann – rückwärts im Entengang ab in den Nebel.
    Anschließend wurde die Brille erst einmal der Beißprobe unterzogen. Donnerwetter, echtes Gold!
    Hinter den gebeugten Rücken donnerte der jüdische Pope weiter:
    »Ich will nicht Aron Schefarewitsch heißen, wenn ich nicht jeden von euch davonjage, der unzufrieden und kleinmütig ist! Seht euch doch an, ihr verschrumpelten Bandwürmer! Was sollen die ›Leibgardisten‹ denn mit euch anfangen? Wer soll euch überhaupt. . .«
    Was weiter kam, hörte Pfannkuchen nicht mehJaël er hatte es vorgezogen, sich zu entfernen.
    ***
    Inzwischen war der Nebel zu einer richtig dicken Suppe geworden, der Rasin sah kaum mehr die Reling, an der er sich entlangschob.
    U-uuuh!!!, tutete es ohrenbetäubend über ihm. Aha, da war also die Brücke.
    Als der Dampfer fertig getütelt hatte, drangen merkwürdige Worte an Pfannkuchens Ohren, ein seltsamer Singsang, der direkt aus dem Nebel vor ihm kam:
    Den Atem gab sie meinem Mund.
Auf ihre Fackel hauchte sie
und brach in dieser Wahnesstund
die ganze Welt in Dort und Hie.
Sie ging – und Kälte war seit dieser Stund.
    »Hör auf zu jaulen, Kolosseum«, sagte eine barsche, spöttische
    Stimme. »Tu lieber was für deine Muskeln. Wozu habe ich dir den Rubberball gegeben?«
    Ein Windhauch blies vom linken Ufer herüber, der Nebelschleier riss jäh auf, und Pfannkuchen erblickte eine ganze Versammlung, die sich unter der Treppe, die zur Brücke führte, niedergelassen hatte: an die zwanzig junge Männer und mitten unter ihnen zwei Mädchen.
    Eine wunderliche Gesellschaft war das, so was kriegte mar nicht oft zu sehen. Viele Krausköpfe und Brillenschlangen dabei, auch ein paar mit großen Nasen – dem Aussehen nach irgendwie jüdisch, irgendwie aber auch wieder nicht. Auf jeder Fall eine lustige Bande, alle grinsten bis zu den Ohren. Einei war schon etwas älter, so ein Kerl mit breiten Schultern, Matrosenbluse und gestreiftem Pulli darunter. Zwischen seiner Zähnen klemmte eine kurze Pfeife. Ein Seemann, ganz klar das sah man ja schon an der Schifferkrause unter dem Kinn; sc was tragen nur Seeleute, damit sie sich nicht mit der Pfeifenglut den Schnurrbart verbrennen.
    Noch wunderlicher waren die beiden Mädel, das heißt, eigentlich waren das keine Mädel, sondern richtige Fräuleins.
    Die eine war so eine
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