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Pechvogel

Pechvogel

Titel: Pechvogel
Autoren: Alexander Fuchs
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Sportlich halt. Ihre Erscheinung schüchterte Richard fast schon ein.
    Nachdem sich Richard von diesem ersten äußerlichen Schock erholt hatte, den er sich so gut als möglich nicht hatte anmerken lassen, bestellten sie das Essen.
    Jetzt kann eigentlich nichts schief gehen, dachte Richard.
    »Ich möchte gerne Spaghetti Bolognese«, sagte Richard zum bereitstehenden Kellner.
    »Ich möchte die Naturnudeln aus Dinkelkorn«, sagte Bianca.
    Naturnudeln aus Dinkelkorn? Gab es so was? Richard fragte sich nicht nur das. Bianca bestellte die Naturnudeln aus Dinkelkorn nicht mit einer leckeren Tomaten- oder Käsesoße, sondern in mit Pflanzenöl gekochtem Unkraut (viele Blätter, Pflanzen und was sonst alles auf dem Kompost gelandet wäre).
    »Ich esse nahezu keine Erzeugnisse, die von Tieren kommen, daher auch keine zerlassene Butter oder so«, sagte sie.
    Davon hatte sie mir nichts geschrieben, dachte Richard. Sie schrieb, so sehr sie die Natur liebte (ich tat das auch, aber alles in Maßen, mein Sohn, wie meine Mutter immer zu sagen pflegte), so sehr schätze sie auch das natürliche Essen. Als normal Sterblicher denkt man dabei an glückliche Kühe, freilaufende Gänse, Hühner, lustige Enten. Ein ganzer kleiner Bauernhof. Aber man denkt doch nicht an das, was man diesen Tieren zum Fressen gibt. Bianca schon.
    Richard unterhielt sich mit Bianca angeregt über Sport. Aber nicht so langweilige Sportarten, die Richard gefielen, wie Fußball, Tennis oder Billard. Daher war es eigentlich auch die falsche Wortwahl. Bianca unterhielt sich praktisch mit sich selbst angeregt über Sport. Was sie darunter verstand?
    Bianca liebte alle Schocksachen, die man in den Bergen machen konnte, und die Chance, dass man dabei lebend wieder ins Tal zurückkam, 50/50 stand. Und das waren unheimlich viele. Die Hälfte davon hatte Richard noch nie gehört, und wenn, dann hatte er weggehört. Nun hatte er das Vergnügen in zwei Stunden alles über diese Schocksportarten zu erfahren. Bianca ließ ihn auch noch wissen, welche Nahrungsmittel sie immer in die Berge mitnahm. Reis. Sie kochte ihn, ließ ihn kalt werden, stopfte ihn in eine Tüte und aß dann immer einige Körner, wenn sie Hunger hatte.
    Guten Appetit, dachte Richard.
    Nachdem das Gesprächsthema Biancasport abgehakt und das Essen verzehrt war, kamen sie zur Literatur, also zum Lesen. »Endlich mal was, was du dir von mir gemerkt hast«, sagte Richard.
    Bianca sah ihn schief an. »Nein, wie kommst du da drauf?« fragte sie. »Ich lese gerne, immer wenn ich in den Bergen bin.«
    Richard stellte sich dabei eine entscheidende Frage: Auf dem Gipfel oder in der Steilwand?
    »Welche Art von Büchern liest du denn«, fragte er.
    »Nichts Triviales, aber eigentlich doch Trivialkost.«
    »Aha.«
    »Was viel wichtiger ist«, begann sie, »die Bücher, die ich lese, müssen auf nach den Richtlinien des Forest Stewardship Council zertifiziertem Papier gedruckt sein. Es handelt sich dabei um Papier, das aus vorbildlich bewirtschafteten Wäldern und anderen kontrollierten Herkünften stammt.«
    »Hab ich schon mal gehört«, sagte Richard.
    »Wenn das Buch auf solch ein Papier gedruckt ist, ist der Inhalt zweitrangig.«
    Wichtig ist das Papier, nicht der Inhalt, klar, dachte Richard, warum war mir das bis heute Abend nicht bewusst gewesen?
    Nachdem Bianca das Thema aus-vorbildlich-bewirtschafteten-Wäldern-Bücher abgehandelt hatte, erzählte sie Richard noch etwas über Gammelfleischlieferungen in Europa, menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse in China, sterbende Fischarten im Atlantik, Japanische Feinschmecker, die alles schlachten, was andere Menschen als Haustiere halten, und über die größten Schweine der Welt, die USA. Die waren, aus ihrer Sicht, am ganzen Leid der Welt schuld.
    Jetzt wusste Richard auch, warum Bianca bei den E-Mails ihm das Schreiben überließ. Er schrieb eine E-Mail mit acht Zeilen, sie eine mit zwei. Er eine mit vierzig, sie eine mit acht oder neun. Aus diesen eher bescheidenen Antworten und ihrem Profil auf liebeloveamore (das mit der echten Bianca so viel gemein hatte wie der Schnee mit dem Wüstensand), dachte Richard, eine Frau gefunden zu haben, die es lohnt, näher kennen zu lernen.
    Nachdem Bianca mit dem Reden fertig war und Richard mit dem Denken, zog sie (unter dem Tisch) einen ihrer klobigen Pumps aus (in denen sie aussah wie ein Amboss auf Krähenfüßen), hob ihr Bein und knetete mit ihrem Fuß Richards Area 51 für die Familienproduktion.
    Richards Ohren
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