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Paul Klee - Die Lebensgeschichte

Paul Klee - Die Lebensgeschichte

Titel: Paul Klee - Die Lebensgeschichte
Autoren: Christiane Weidemann
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Jahr später ist eine kleine Mietwohnung am Stadtrand von Bern gefunden, mit Schafzimmer, Musikzimmer und improvisiertem Atelier mit Balkon, von dem aus man die schneebedeckten Berge sehen kann. Im Gästezimmer stapeln sich unzählige Bilder, viele davon ehemalige Leihgaben an deutsche Museen und Galerien, die er in der Zwischenzeit zurückgefordert hat. Paul ist in all den Jahren anspruchslos geblieben; ihm gefällt das einfache Leben.
    Die Wohnung im Kistlerweg 6 wird zum Lebensmittelpunkt. Endlich kann Paul wieder in Ruhe den ganzen Tag arbeiten. Wie recht Lily doch hatte, ihn zur Flucht aus Deutschland zu drängen. Nie wieder will er dieses Land betreten, wo den »entarteten« Künstlern inzwischen das Malen verboten ist.
    Im Herbst 1935 wird Paul krank. Die Ärzte vermuten zunächst Masern, doch tatsächlich handelt es sich um die ersten Anzeichen einer Hautkrankheit, Sklerodermie, von der sich Paul nie wieder ganz erholen wird. Zwei Monate lang liegt er im Bett, an Arbeit ist nicht zu denken. Lediglich fünfundzwanzig Werke entstehen 1936, so wenige wie nie zuvor in einem Jahr. Geige spielen darf Paul auch nicht mehr, und das gemütliche Pfeifeschmauchen hat der Arzt ebenfalls verboten.
    Zur Erholung halten sich Paul und Lily wochenlang im Wallis und Tessin auf. Für Lily ist es ein wahres Wunder, dass sich Pauls Zustand wieder bessert. Und mehr als das: »die Produktion nimmt ein gesteigertes Ausmaß in sehr gesteigertem Tempo an«, schreibt Paul in einem Brief an seinen Sohn Felix. »Wenn die Freude zu leben heute manches Hindernis erfährt, so kann man sie vielleicht auf dem Umweg über die Arbeit rekonstruieren? Mir kommt das
so vor, und ich glaube, es glückt auch bis zu einem gewissen Grad. Da die Arbeit gute Zeiten haben kann, stellt sich manchmal eine Art Glück ein.«
    Doch Paul spürt, dass seine Krankheit weiter fortschreitet, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. In aller Stille entsteht ein Bild nach dem anderen – rätselhafte, sehr persönliche Werke, die kaum jemand zu deuten weiß. Paul experimentiert mit verschiedenen Malgründen, verwendet mal Zeitungspapier, mal Jute, dann wieder Kistenholz. Die Bildformate wachsen ins Monumentale; die Farben, hergestellt nach Spezialrezepten, werden kräftiger; die Linie wächst zu dicken schwarzen Balken an. Oft sind nur noch wenige Striche, Zeichen und einfache Formen auf seinen Bildern zu sehen. Paul versucht sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, alles Erlebte und Gewesene soll verdichtet werden.

    Bild 25
    Dieser schreckliche Nationalsozialismus. Paul malt eine Gestalt, die es buchstäblich in Stücke zerrissen hat.

    Einmal malt er einen Menschen, dessen Körperteile wie bei einer Gliederpuppe in seine Einzelteile zerfallen sind. Das Gesicht drückt Entsetzen und Verzweiflung aus, Augen und Mund sind weit aufgerissen. »Angstausbruch III«, verzeichnet Paul als Titel in sein Werkverzeichnis. Ein anderes Mal malt er eine liegende Figur, die von vielen menschlichen Wesen umringt ist, die scheinbar nicht wissen, was zu tun ist. »Die Ratlosen«, nennt Paul dieses in gedämpften Farben gemalte Bild, das eine gedrückte Stimmung vermittelt. Genauso fühlt sich Paul manchmal, wenn die verschiedenen Ärzte ihn untersuchen und jeder zu einer anderen Diagnose kommt.

    Bild 26
    Mit feinen Strichelungen malt der Künstler eine geisterhafte Traumwelt, die auf den ersten Blick verwirrend erscheint. Und ebenso fühlen sich die vielen durchsichtigen Gestalten angesichts des Liegenden: Paul nennt sie »Die Ratlosen«.
    Doch auch die späten Jahre haben viele verschiedene Gesichter, und neben allem Ernst spiegeln sich auch immer wieder Zuversicht und Lebensfreude in seinen Bildern. Leben und Sterben, denkt Paul, das ist der Kreislauf des Lebens. »Der Tod ist nichts Schlimmes, damit habe ich mich längstens abgefunden. Weiß man denn, was wichtiger ist, das Leben jetzt oder das, was kommt?«
    »Diesseitig bin ich gar nicht fassbar«
    Während sich Paul in seinem Berner Atelier vergräbt, wird im benachbarten Deutschland eine gewaltige Ausstellung geplant, die durch verschiedene deutsche und österreichische Städte wandern soll. Siebzehn von Pauls Bildern sind darunter, die wie die Werke von Wassily Kandinsky, Franz Marc und anderen als »krankhafte Auswüchse irrsinniger und verkommener« Künstler verspottet und einer »gesunden« deutschen Kunst gegenübergestellt werden, die dem Ideal der Nationalsozialisten entspricht. Pauls Bilder sind in ihren Augen Werke
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