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Der teuflische Lord (German Edition)

Der teuflische Lord (German Edition)

Titel: Der teuflische Lord (German Edition)
Autoren: Natascha Artmann
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    Unerbittliche Kälte kroch Melisande durch ihr Gewand bis tief zu ihren Knochen. Es fühlte sich so an, als ob sie der kalten Winterluft ohne Schutz ausgesetzt wäre. Längst schon war jede einzelne Stofflage, die ihren Körper bedeckte, klamm und kalt. Ihre Finger spürte sie fast gar nicht mehr, obwohl sie sie in den weiten Ärmeln ihrer Kutte vergraben hatte. Der Schleier, der ihren Kopf umhüllte, hielt nur wenig von der eisigen Luft ab. Darum bot auch er keinen ausreichenden Schutz, um darunter so etwas wie Wärme zu empfinden.
    Sie konnte es nicht leugnen, sie brauchte unbedingt einen Ort, an dem sie sich aufwärmen konnte. Nicht erst am Ende ihrer Reise, sondern gleich jetzt, auch wenn das unmöglich schien. Denn sonst würde sie das Kloster erst gar nicht erreichen, weil sie sich längst in einen Eisblock verwandelt hätte. Melisandes Problem aber bestand darin, dass sie es sich nicht erlauben konnte, irgendwo um Hilfe zu bitten, da sie die Aufmerksamkeit fürchtete.
    Ihre einzige Hoffnung war, eine verlassene Hütte zu finden, wo sie ein Feuer entzünden konnte, um sich einige Stunden aufzuwärmen. Nur würde sich ein solcher Wunsch wohl kaum erfüllen, da Melisande es nicht wagte, den Weg, der durch die ausgedehnten Wälder führte, zu verlassen. Und hier gab es weit und breit keine Möglichkeit, die es ihr erlaubte, Schutz zu suchen.
    Also setzte Melisande weiterhin einen Fuß vor den anderen, versuchte nicht zu denken, nur weiterzugehen. Sie bemühte sich auf den Weg zu achten, dem sie folgte, um die Kälte aus ihren Gedanken auszuschließen. Für einen kurzen Zeitraum gelang ihr das sogar. Denn am Wegesrand gab es genügend Dinge, auf die sie ihr Augenmerk richten konnte.
    Weiße Hauben zierten die Nadelbäume, die sich mit blattlosen Laubbäumen abwechselten. Diese Mischung der Baumarten ermöglichte es ihr, sehr weit zu blicken, auch wenn sich kein Ende dieser Landschaft abzeichnete. Dort, wo die Bäume enger beisammen standen und ihre Äste weit ausbreiteten, lag kaum Schnee. Das konnte sie von dem Weg, der relativ breit war, da er wohl auch von Fuhrwerken benutzt wurde, nicht sagen. Melisande jedenfalls watete durch knöcheltiefe weiße Pracht, auch wenn sie versuchte dies zu ignorieren. Trotzdem wurde ihr nur zu deutlich bewusst, dass der Saum ihres Gewandes am Boden schleifte und die kalte Masse näher an ihren Körper brachte.
    Doch das durfte sie nicht kümmern, sie musste es ganz einfach in Kauf nehmen, wenn sie sich retten wollte. Der Weg zum Kloster war eben nicht einfach, würde aber die einzige Zuflucht vor dem schrecklichen Schicksal sein, das man ihr aufbürden wollte. Denn die heilige Stätte war für jede weltliche Macht unantastbar. Ihre Tante, die Äbtissin, würde ihr sicherlich dabei helfen, einen anderen Lebensweg für sie zu finden als die Frau eines Mannes zu werden, den sie nicht einmal kannte. Dazu musste sie es jedoch erst einmal bis zu dieser schutzversprechenden Ort schaffen, ohne vorher zu erfrieren.
    Sie hatte schon mit der Kälte erhebliche Probleme; dazu kam noch ihre Furcht, auf andere Personen zu treffen. Denn den Weg, den sie eingeschlagen hatte, benutzten auch viele Reisende. Obwohl sie sich darauf eingestellt hatte, auf ihrer Flucht Menschen zu begegnen, versetzte sie diese Aussicht in Panik. Bei den ersten Anzeichen, dass sie während ihrer Mission jemandem begegnen könnte, fing Melisande bereits zu zittern an. Auch die Angst vor möglichen Verfolgern blieb ihr nicht erspart, sondern war groß genug, sie dazu zu bringen, den sicheren Weg zu verlassen.
    Sich in den Wald zurückzuziehen, sobald sie auch nur in der Ferne ein Geräusch vernahm, das auf baldige Gesellschaft schließen ließ, war reiner Fluchtinstinkt. Aber Melisande wollte auf keinen Fall riskieren, von irgendjemandem gesehen zu werden. Deshalb zog sie sich nicht nur ein kleines Stück in den Wald zurück, sondern entfernte sich soweit von ihrem Reiseweg, dass sie bestimmt nicht mehr gesehen werden konnte. Andererseits konnte sie so auch nicht sehen, wer da vielleicht ihren Weg gekreuzt hätte.
    So tief in den Wald vorzudringen war eine riskante Sache. Zurückzufinden erwies sich als schwieriger als zuvor gedacht. Irgendwie hatte Melisande zu oft hinter einem Baum ein Versteck gesucht, um dieses dann durch ein noch größeres und dichteres Gebüsch zu ersetzen. Jedenfalls hatte sie ihren Standort viel zu häufig verändert, um noch zu wissen, in welcher Richtung die Straße lag, die sie durch die
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